Infusionslösungen sollten generell so deklariert werden, dass der Anwender möglichst einfach aber trotzdem umfassend über den Inhalt informiert wird. Die von Seiten der Behörde geforderte Deklarierung der Zusammensetzung über die Einwaage (Gewicht) bei Herstellung ist praktisch uninteressant, weil diese etwas vortäuschen kann, was die Lösung nicht (mehr) enthält. Als Beispiel sei erwähnt: Das ursprünglich eingewogene Bikarbonat (HCO3) ist längst als CO2 entwichen [6]. Die Zusammensetzung der fertigen Lösung im Behältnis in vitro (g/l oder mmol/l) ist uninteressant, wenn die Wirkung im Patienten (in vivo) eine andere ist. Relevant für den Anwender ist daher die mit der Lösung beim Patienten erzeugte Wirkung, was an zwei Beispielen erläutert werden soll [8].
Isoton ist eine Lösung dann, wenn ihre berechnete in vivo-Osmolalität einen Wert von 290 mosmol/kg H2O aufweist, identisch mit dem Plasmawert. In vivo bedeutet hier nach Infusion und möglicher Metabolisierung der Inhaltsstoffe. Eine 5%ige Glukose-Lösung zeigt bei der Messung der Osmolalität einen normalen Wert (~ 290 mosmol/kg H2O), nach schneller Metabolisierung der Glukose aber entspricht die Wirkung dieser Lösung der von reinem Wasser. Ihre in vivo-Osmolalität beträgt somit 0 mosmol/kg H2O. Enthält eine Lösung Azetat oder Laktat, dann bleibt sie nach Umwandlung von Azetat/Laktat in HCO3 natürlich isoton, wenn sie zuvor auch isoton war.
Isohydrisch, also ohne Einfluss auf den Säure-Basen-Status des Patienten, ist eine Bikarbonat-freie Lösung dann, wenn der Zusatz von 24 mmol/l Azetat im Patienten zu einer Freisetzung von 24 mmol/l HCO3 geführt hat. Der BE dieser Lösung in vitro beträgt - 24 mmol/l, die Lösung säuert an, der potentielle Base Excess (BEpot) dieser Lösung in vivo hingegen beträgt 0 mmol/l, die Lösung hat keinen Einfluss auf den Säure-Basen-Status.
Diese Forderung wird leider von der Mehrzahl der Hersteller nicht erfüllt - auch eine aktuelle Veröffentlichung eines Herstellers löst die Problematik nicht [2].
Eine obligatorische Forderung lautet [7]: Jede Infusionslösung sollte isoton sein, d. h. ihre kryoskopisch (Gefrierpunktserniedrigung, GPE) gemessene (reale) Osmolalität sollte in einem Bereich von 280-300 mosmol/kg H2O liegen, deklariert wird die Isotonie mit der berechneten realen Osmolalität (mosmol/kg H2O) in vivo.
Diese Forderung wird zur Zeit herstellerseits praktisch nie erfüllt, stattdessen wird meistens nur die theoretische Osmolarität (mosmol/l) deklariert, die sich aus der Addition aller osmotisch wirksamen Bestandteile einer Lösung ergibt. Die Begründung dafür ist, dass die Messung der Osmolalität, nur diese kann gemessen werden, im Beisein von Kolloiden (vor allem HES) mit Fehlern behaftet ist. Die gemessene Osmolalität der 5%igen Glukose-Lösung macht sie auch nicht isoton. Damit ist bis auf weiteres die optimale Information des Arztes mit der Kennzeichnung einer Lösung über die berechnete in vivo-Osmolalität (mosmol/kg H2O) gegeben.
Hiervon weicht die Fa. Fresenius Kabi (FK) jetzt ab [2], die Argumente dazu sind:
Diese Fakten führten im Jahre 2005 zu der Forderung [7], dass die Isotonie mit einer Osmolalität von 280-300 mosmol/kg H2O belegt werden sollte. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Streuung des Normalwertes der Plasma-Osmolalität nur 5 mosmol/kg H2O beträgt, also deutlich weniger als die geforderte Bandbreite von 10 mosmol/kg H2O für eine Infusionslösung.
Um die Diskussion zur Isotonie und der so genannten Tonizität abzuschließen, ein Zitat aus Hartig 1994 [3]: "Die normale Plasma-Osmolalität (285-295 mosmol/kg H2O, im Mittel etwa 290 mosmol/kg H2O) ist der Bezugspunkt für die Tonizität. Lösungen, die eine geringere Osmolalität als normales Plasma aufweisen, sind hypoton; Lösungen, die eine höhere Osmolalität besitzen, sind hyperton."
Somit ist die von FK vertretene Definition der Isotonie nicht nur veraltet sondern auch potentiell Patienten-gefährdend.
In den - genehmigten - Fachinformationen deklariert FK mehrere ihrer Lösungen ausdrücklich als isoton: Bei "ELO-MEL Isotone Infusionslösung" (FK Asutria) erscheint die Aussage schon in der Bezeichnung der Lösung (angegebene Osmolarität 302 mosmol/l, daraus berechnete Osmolalität 280 mosmol/kg H2O, also "gerade noch isoton"); bei "Voluven 6 % balanced" (FK Schweiz) entsprechend "Volulyte" (FK) wird im Text auf die "isotonische" Zusammensetzung hingewiesen, deklariert mit einer theoretischen Osmolarität von 286,5 mosmol/l und daraus berechneter Osmolalität von 278 mosmol/kg H2O, also "leicht hypoton" [4].
Auch andere Hersteller entwickeln bei der Deklaration der Osmolarität bzw. Osmolalität Probleme.
Das vom Serumwerk Bernburg angebotene, hypotone Gelafusal [5] mit einer vom Hersteller (in der Fachinformation) angegebenen Osmolarität von 279 mosmol/l ergibt eine berechnete Osmolalität von 268 mosmol/kg H2O. Legt man hingegen die wahre Osmolarität von 249 mosmol/l (Addition der Osmole) zugrunde, beträgt die Osmolalität nur noch 239 mosmol/kg H2O, also liegt eine stark hypotone Lösung vor.
Die von Baxter (Austria) angebotene Plasmalyt-Infusionslösung hat nach der Fachinformation (Austria Codex) eine Osmolarität von 294,5 mosmol/l, damit eine Osmolalität von 273,5 mosmol/kg H2O, also ebenfalls eine stark hypotone Lösung. Gleiches gilt für die Schweiz, dort heißt das stark hypotone Produkt Plasma-Lyte A.
Der Sonderfall Glukose-Lösung soll nochmals aufgegriffen werden.
Wenn für eine 5%ige Glukose-Lösung, z. B. Glukosteril 5 % von FK, eine Osmolarität von 277 mosmol/l angegeben wird, könnte der Arzt irrtümlich glauben, diese Lösung sei fast isoton, obwohl sie eine in vivo-Osmolalität von 0 mosmol/kg H2O besitzt.
Wenn ein Hersteller (Baxter Austria) seine bereits erwähnte, stark hypotone Plasmalyt-Infusionslösung mit einem Zusatz von 5 % Glukose anbietet und diese mit einer Osmolarität von ca. 572 mosmol/l deklariert (Austria Codex), dann könnte der Arzt glauben, eine stark hypertone Lösung zu verwenden, während diese nach wie vor stark hypoton (273,5 mosmol/kg H2O) ist. Auch dies ein Beispiel für eine dringend zu verbessernde Deklarierung.
Wenn in der Schweiz Ringer-Lactat Fresenius mit einem Zusatz von 1 % Glukose angeboten wird, dann erhöht sich nach dortigen Angaben die Osmolarität von 262-293 auf 318-349 mosmol/l, der unkundige Arzt vermutet wieder, dass aus einer hypotonen eine eher hypertone Lösung infolge Glukose-Zusatz entstanden ist. Damit sind therapeutische Fehler vorprogrammiert.
Ein weiteres Argument für die Deklarierung der Isotonie mit der in vivo-Osmolalität ergibt sich dadurch, dass das zur Optimierung des BEpot eingesetze Malat im Metabolismus 2 mol (= osmol) HCO3 pro mol Malat freisetzt. Damit erhöht sich die in vivo-Osmolalität um eben diesen Betrag, wie es in Physioklin vermerkt worden ist [5].
Dieses Vorgehen wird von B. Braun Melsungen nicht praktiziert, weil behördlich (noch) nicht akzeptiert. Beispielsweise wird für die beiden Lösungen Sterofundin ISO (309 mosmol/l deklariert) und Tetraspan 6 % (296 mosmol/l deklariert) eine in vivo-Osmolalität von 292 mosmol/kg H2O berechnet, die einen Osmolalitätsbeitrag von 10 mosmol/ kg H2O für nur 5 mmol/l Malat in den Lösungen einrechnet. Auch dies gilt es möglichst bald zu verbessern.
Isohydrisch ist eine Infusionslösung dann, wenn ihre Infusion ohne Einfluss auf den Säure-Basen-Status des Patienten bleibt. Für den behandelnden Arzt stehen folgende Angaben zur Verfügung [6]:
Die wenig geeignete Titrationsazidität (TA, mmol/l) ist praktisch ohne Bedeutung, obwohl ihre Angabe für den Hersteller verpflichtend ist. Sie kann durch Titration im Labor ermittelt oder anhand der Zusammensetzung berechnet werden.
Der Base Excess (BE, mmol/l) einer Infusionslösung, in Analogie zu Blut definiert, beschreibt diejenige Menge an HCO3- (mmol/l), die notwendig ist, den pH-Wert der Lösung unter Laborbedingungen (pCO2 = 40 mmHg) auf den pH des Patienten von 7,40 zu bringen.
Damit hat jede Infusionslösung ohne HCO3- automatisch einen BE von – 24 mmol/l oder größer, je nach Titrationsazidität.
Der potentielle Base Excess (BEpot, mmol/l) einer Infusionslösung ist diejenige Menge an HCO3-, die nach Infusion plus Verstoffwechselung der metabolisierbaren Anionen im Patienten (pCO2 = 40 mmHg) potentiell verbraucht oder freigesetzt werden kann. Dieser Wert ergibt sich aus der Addition von BE (mit negativem Vorzeichen) in mmol/l und der Summe der metabolisierbaren Anionen unter Berücksichtigung ihrer Wertigkeit. Eine optimale Lösung für den Volumenersatz hat demnach einen BEpot von 0 ± 10 mmol/l. Die Abweichung von 10 mmol/l würde im Patienten von 75 kg KG mit einem ECFV von 15 l (20 % des KG) eine Änderung seines BE von weniger als 1 mmol/l (genau 0,7 mmol/l) verursachen, wenn 1 l dieser Lösung infundiert worden wäre.
Optimal für die Deklarierung einer Infusionslösung wäre demnach der BEpot, der aber (noch) nicht verwendet wird. Mittlerweile aber benutzen die meisten Hersteller diesen Begriff in ihren Begleitmaterialien. So auch jetzt nach dem Serumwerk Bernburg und B. Braun Melsungen die Firma Fresenius Kabi [2].
Eine Auswahl von entsprechenden BEpot-Werten von Lösungen in Deutschland wurde mehrfach publiziert [5]. Dabei fällt auf, dass es insbesondere bei den kristalloiden Lösungen immer noch sehr viele gibt, die mit einem positiven BEpot eine – unnötige – Alkalisierung des Patienten verursachen, weil sie Azetat-Zusätze von 37-50 mmol/l enthalten. Unnötig, weil die metabolische, iatrogene Alkalose immer noch die häufigste klinische Störung des Säure-Basen-Status darstellt.
Von den hier bereits besprochenen Lösungen der Nachbarländer fallen dabei besonders auf: Plasmalyt-Infusionslösung (Baxter Austria) mit BEpot +26 mmol/l; ELO-MEL Isoton-Infusionslösung (Fresenius Austria) mit BEpot + 21 mmol/l.
Die Deklarierung von Infusionslösungen ist unzureichend, weil der Arzt nur über den Inhalt (in vitro) informiert wird, nicht aber über die Wirkung der Lösung im Patienten (in vivo). Bis zu einer Verbesserung dieser Situation wäre es hilfreich, wenn die Krankenhaus-Apotheker in Kooperation mit den Herstellern von Infusionslösungen den Arzt durch entsprechende Begleitmaßnahmen informieren würden. Dies gilt vorläufig für die berechneten in vivo-Werte für die Osmolalität und den potentiellen Base Excess.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sollte
* Einer Bitte vom 08.07.09 entsprechend stellt Fresenius Kabi am 04.08.09 eine vollständige PDF-Datei (2. Auflage – Stand 052009) zur Verfügung, die die eigene Datei ersetzt. Die 1. Auflage wurde beim DAC 2009 (Leipzig 09.-12.05.09) verteilt, eingesammelt und gesperrt.