Hypo-Osmolalität von Infusionslösungen

Indolenz in der Medizin

Die über 25 Jahre tolerierte Indolenz von EMA, BfArM und Pharma-Unternehmen zusam­men mit Fachgesellschaften, Arzneimittel-Kommissionen und Wissenschafts-Verlagen hat es 2023 ermöglicht, dass aktuell 12 Ärzte in einer deutschen Zeitschrift eine iatrogene, potenziell lebensbedrohliche Arzneimittel-Wirkung als hypo-natriämische Hypo-Osmolalität – unklarer Genese – darstellen.

Indolence in medicine

The over 25 years tolerated indolence of EMA, BfArM and pharmaceutical companies together with professional societies, drug commissions and scientific publishers has made it possible in 2023 that currently 12 physicians in a German journal present an iatrogenic, potentially life-threatening drug effect as hypo-natremic hypo-osmolality of – unclear genesis.

Juni 2023 Aktuelle Publikation

Brandt CM, Benner A, Pietsch L, Medl M, Kunze M, Kalbhenn J:
Schwere Hyponatriämie nach Kombination von Oxytocin mit Desmopressin bei postpartaler Hämorrhagie.
Anästh Intensivmed 2023; 64: 218-223 [1].

Zitat: „Die Kasuistik zeigt eine seltene, aber potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkung einer gängigen Medikamenten­kombination; die Patientin wurde mit der Diagnose einer transienten hypotonen Hyponatriämie unklarer Genese entlassen.“

Aus Anlass dieser – unglaublichen, erneuten, nicht erkannten, iatrogenen Gefährdung einer Patientin bis zur Somnolenz – muss hier über die jahrzehntelange Indolenz des Medizin-Systems zur Hypo-Osmolalität berichtet werden. Erst danach wird diese Publikation kommentiert.

Chronologie

1998 Allen I. Arieff [2]

Editorial: Postoperative hyponatraemic encephalopathy following elective surgery in children:

Zitate: In the United States, there are an estimated 15 000 deaths per year as a conse­quence of postoperative hyponatraemia … with death or permanent brain damage. Effects of hyponatraemia on the brain of puppies: Lowering of plasma sodium from 140 to 120 mmol/l … cerebral oedema, a movement of water ionto brain cells as a result of osmotic forces, … the early respond of the brain oedema is the loss of blood and cerebrospinal fluid.

2005 Zander et al. [3]

Obligatorische Forderung – Jeder Volumenersatz sollte isoton sein. Eine Lösung ist dann isoton, wenn ihre kryoskopisch (Gefrierpunktserniedrigung, GPE) gemessene (reale) Osmolalität im Vergleich zu allen Körperflüssigkeiten des Menschen einschließlich Plasma mit 288 ± 5 mosmol/kg H2O in einem Bereich von 280 - 300 mosmol/kg H2O liegt. Die Isotonie wird mit der berechneten realen Osmolalität (mosmol/kg H2O) deklariert.

2006 Zander [4]

A Balanced infusion fluid is isotonic if it has the same actual osmolality as plasma (288 ± 5 mosmol/kg H2O) or the same theoretical osmolarity of a physiological (isotonic) NaCl solution of 308 mosmol/L. What counts is the osmolality that is effective in vivo rather than that measured in vitro.
Dextrose 5% in water is clearly isotonic in vitro, but its in vivo effect is that of pure water because glucose rapidly enters the intracellular space to be metabolised.
Actual osmolality can be determined from freezing-point depression.

2008 Ayus et al. [5]

Zitate: „HYPONATREMIC ENCEPHALOPATHY is defined as central nervous system dysfunction secondary to hyponatremia. In a review of the literature from 1975 to 2006, among all patients with hyponatremic encephalopathy where the outcome was known (n = 344) the overall morbidity and mortality is 42%, clearly establishing the disorder as a life-threatening medical emergency. Hyponatremia is the most common electrolyte abnormality in hospitalized patients. Symptomatic (hyponatremic encephalopathy) the overall morbidity is 34%. In children, physical factors – discrepancy between skull size and brain size – are important in the genesis of brain damage. In adults, certain hormones – estrogen and vasopressin (usually elevated in cases of hyponatremia) – have been shown to impair brain adaptation, decreasing both cerebral blood flow and oxygen utilization. Initially, hyponatremia leads to an influx of water into the brain, primarily through glial cells and largely via the water channel aquaporin (AQP). Cerebral edema compresses the respiratory centers and also forces blood out of the brain, both lowering arterial pO2 and decreasing oxygen utilization. Although many factors probably contribute to this association, the presence of a high size ratio of brain to cranial vault appears to be an important factor, because brain development is complete around age 6 but the skull does not attain full size until adulthood."

2009 Zander [6]

Generell sollten nur plasmaisotone Infusionslösungen zum Einsatz kommen, weil die Infusion größerer Volumina hypotoner Lösungen zu einem Hirnödem mit Steigerung des intrakraniellen Druckes führen kann. Leider kann zwischen der in vitro (Labor) gemessenen Osmolalität einer Infusionslösung und in vivo (Patient) ein Unterschied bestehen. Der einfachste Fall ist die 5%ige Glukoselösung: Sie enthält theoretisch 278 mmol gleich mosmol pro Liter Lösung, also eine Osmolarität von 278 mosmol/l. Unter Berücksichtigung des Wassergehalts von 97 % und eines osmotischen Koeffizienten von 1,013 (deutlich abweichend von NaCl-Lösung) ergibt dies eine reale Osmolalität von 290 mosmol/kg H2O, also eine eindeutig isotone Lösung im Labor (mehrfach in vitro gemessen). Die Infusion dieser Lösung aber hat eine Wirkung wie reines Wasser, weil die Glucose im Gewebe schnell intrazellulär metabolisiert wird und das Wasser zurückbleibt. Die infolge Wasseraufnahme zwangsläufige Volumenzunahme des Gehirns um z.B. 3 %, also 40 ml, muss zu einer gleich großen Verdrängung des Blut- und/oder Liquorvolumens von ca. 30 % führen: Dies verursacht seinerseits einen potenziellen ICP-Anstieg.

Eine Senkung der Plasmaosmolalität um nur ca. 3 % (z. B. 288 auf 278 mosmol/kgH2O) verursacht einen ICP-Anstieg um ca. 15 mmHg.

2010 Funk et al. [7]

Die Natrium-Konzentration bei ICU-Aufnahme korreliert mit der Mortalität von 151.486 Patienten in Österreich, gesammelt von 1998 - 2007 in 77 med. / chirurg. Intensivstationen.

Danach verstarben/versterben in Österreich von über 150.000 Patienten jedes Jahr im Krankenhaus insgesamt 609 Patienten vermutlich an einem Hirnödem infolge Hypo-Osmolalität bei Hypo-Natriämie.

2012 Van Aken et al. [8]

"Thus, maintenance of normal plasma osmolality appears to be a key physiologic aim in the management for patients suffering from traumatic brain unjury …and per se represents the key determinant in the pathogenesis of cerebral edema formation“.

2013 Fazekas et al. [9]

Dazu in Physioklin die Optimale Berechnung der Plasma-Osmolalität aus den Daten einer sog. Blutgasanalyse.

2017 PRAC

Nach einem Meeting (3 - 6 July 2017) des PRAC (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee) bei der EMA (European Medicines Agency) wurden Empfehlungen zum Thema Intravenous (IV) fluids containing electrolytes and/or carbohydrates – Hyponatraemia veröffentlicht.

2018 Rote Hand Brief

Am 4. Juni 2018 – ca. 1 Jahr später – wurde von 4 deutschen Zulassungsinhabern – in Abstimmung mit dem BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) – ein Rote Hand Brief veröffentlicht, der über das Risiko einer schweren Hyponatriämie bei der Anwendung einiger Elektrolyt- und/oder kohlenhydrathaltigen intravenösen (i.v.)Flüssigkeiten berichtete.

Cave:

Die hier verwendete Formulierung sog. physiologisch hypotone Lösungen offenbart die Fehlinterpretation des Problems: Es geht nicht um hyponatriämische Lösungen, sondern um hypotone bzw. hypo-osmolale Lösungen, die je nach Infusionsvolumen und -rate wegen ihrer in vivo Hypo-Osmolalität (< 288 mosmol/kg H2O) eine Enzephalopathie mit irreversiblen Hirnschädigungen und zum Tod führen können.

Oktober 2018 Physioklin

Da vom BfArM keinerlei Reaktion erfolgt, wird in einem Offenen Brief an die Leitung des BfArM zur Deklaration von Infusionslösungen der Status quo des Rote Hand Briefes verbreitet.

November 2018 Physioklin

Nach dem Erscheinen des Rote Hand Briefes vom Juni 2018 zum Risiko einer schweren Hyponatriämie bei der Anwendung einiger intravenöser Flüssigkeiten herrscht Konfusion. Diese soll aufgelöst werden mit einem Offenen Brief an die Leitung des BfArM.

November 2018 Physioklin

Exemplarische Antwort eines Pharma-Unternehmens:
„… zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine akute Notwendigkeit, die Diskussion um eine Änderung der Deklaration unserer Elektrolytlösungen gemäß ihren Vorschlägen weiter­zu­führen. … werden wir im Einzelfall gerne prüfen, ob eine Aufnahme der von ihnen gewünsch­ten, zusätzlichen Angaben zur berechneten in vivo Osmolalität … möglich und sinnvoll ist.“

September 2020 S3-Leitlinie Intravasale Volumentherapie bei Erwachsenen

AWMF-Registernummer 001 - 020
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (federführend).

Zitat: „Bei Intensivpatienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma sollen keine hypoosmolaren Lösungen zur Volumentherapie verwendet werden.“

PDF-Suchfunktion: Fehlanzeige hypotone Lösungen, Osmolarität, Osmolalität.

Oktober 2020 Physioklin

Der Rote Hand Brief von 2018 zum Thema hyponatriämische – also hypotone – Lösungen ist ohne jegliche Konsequenzen geblieben, ebenso ein Offener Brief an die Leitung des BfArM. Im Beitrag „Chaos bei der Deklarierung der Osmolalität werden die Folgen dokumentiert.

Insgesamt 3 Anhänge werden publiziert:

  1. Chronologie der Publikationen zur Forderung nach Isotonie (Anhang I)
  2. Beispiele problematischer Deklarierung durch die Hersteller (Anhang II)
  3. Falsche Angaben in Publikationen wissenschaftlicher Zeitschriften (Anhang III)

Oktober 2020

Die Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN werden darauf hingewiesen, dass die sog. idiopathische intrakranielle Hypertension (IIH) weder in der Leitlinie der DGNC noch in der der (DGN) erwähnt wird. Hier wären hypotone Infusionslösungen kontraindiziert.

Idiopathische intrakranielle Hypertension (IIH) – Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Wüllner U. et al., Idiopathische intrakranielle Hypertension (IIH), S1-Leitlinie, 2019, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie.
Reaktionen keine.

Juni 2021 S1- Leitlinie Perioperative Infusionstherapie bei Kindern

06/2021, AWMF Registernummer 001 – 032
Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie

„Konsentierte Empfehlung 4: Perioperativ sollen bei Kindern balancierte Vollelektrolyt­lösungen mit einem möglichst physiologischen Elektrolytmuster (isoionisch), einer theore­tischen Osmolarität von annähernd 308 mosmol/l bzw. einer (realen) Osmolalität von annähernd 288 mosmol/kg H2O (isotonisch) und einer potenziellen Basenabweichung von annähernd 0 mmol/l (isohydrisch) eingesetzt werden.“

„Im Vergleich zu den früher verwendeten hypotonen Infusionslösungen mit Glukose 5 % führt der perioperative Gebrauch von isotonen Infusionslösungen zu einem geringeren Risiko einer Hyponatriämie mit möglicher Enzephalopathie, Hirnödem und respiratorischer Insuffizienz … Kinder sind insbesondere perioperativ durch Hyponatriämie und Hirnödem gefährdet, da sie kleinere intrakranielle Raumreserven haben und durch stressbedingte Ausschüttung des antidiuretischen Hormons (ADH) die Ausscheidung freien Wassers gehemmt wird. Auch bei Neugeborenen steigt das Risiko einer Hyponatriämie, wenn intraoperativ hypotone Infusionslösungen verwendet werden.“

März 2022 Mertzlufft et al. [10]

Nach mehreren Versuchen ist ein Letter to the Editor von 11 internationalen Autoren zum Thema Deklarierung von Infusionslösungen endlich erschienen.

Zitat letzter Absatz:
In conclusion, we recommend strongly that the medical community take Lönnqvist’s appeal (’time for a solution’) seriously, and urge medical companies and manufacturers to provide improved infusion solutions that are physiologically composed and balanced (Table 1), and which include clear and detailed guidance for their safe and effective use. We believe that these relatively simple steps, which can be achieved without increasing costs, will have a substantial clinical benefit in reducing morbidity and potentially saving lives.

Die zuvor in den Jahren 2019 bis 2021 abgelehnten 5 Beiträge zum gleichen Thema (Anesth Analg Open Mind 2021, J Cardiothorac Vasc Anesth 2021, Anesthesiology 2020, Anesth Analg 2019, J Nephrol 2019) sind hier einsehbar.

März 2022 Physioklin

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) teilt mit: Da es um die Deklaration von Infusionslösungen geht, möchten wir Sie bitten, sich an die Arzneimittel­kommission der Apotheker zu wenden.

Mai 2022 Physioklin

In einem Bericht wird die Arzneimittelkommission der Apotheker (AMK) über falsch deklarierte Infusionslösungen informiert. Dazu die AMK: „… beobachten [wir] weiterhin, ob uns Meldungen erreichen, die in einem möglichen Zusammenhang zu Ihrem Bericht stehen“.

Die Arzneimittelkommission der Apotheker (AMK) zu falsch deklarierten Infusionslösungen.

Mai 2022 Physioklin

Eine Einladung an sechs pharmazeutische Firmen zur Optimierung der Deklarierung von Infusionslösungen geht ins Leere, d.h. die Bereitschaft der Firmen, sich mit den Nebenwirkungen ihrer Produkte zu beschäftigen, ist nicht vorhanden. Diese Haltung deckt sich mit der des BfArM und der AMK.

August 2022 S2- Leitlinie Peripartale Blutungen, Diagnostik und Therapie

015/063, AWMF-Registernummer
Federführende Fachgesellschaften
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) e.V. Berlin

Zitate: „Zur Verwendung von DDAVP (Desmopressin) [synthetisch erzeugtes Protein] in der Geburtshilfe zur Akuttherapie bei Blutungen gibt es keine zuverlässige Datenbasis, die eine evidenzbasierte Empfehlung erlauben würde.“
„Die Antidiurese führt zu Dilutionshyponatriämie, Hypoosmolarität, Krampfanfällen.“

PDF-Suchfunktion: Fehlanzeige hypotone Lösungen, Glukoselösung, Osmolalität.

Kommentar zur Publikation Brandt et al.

Juni 2023 Brandt et al. [1]

Der folgende Kommentar verwendet die Daten der Patientin:

Gewicht 60 kg, Körpergröße 174 cm, Extracellular-Volumen 12 L (ECV 20 % KG)
Intracellular-Volumen 24 L (ICV 40 % KG), cHb 13,6 g/dl.

Aufnahme (ca. 19:30 Uhr) über Nachkürettage (ca. 23:30 Uhr) bis Diagnose der schweren Hyponatriämie (ca. 20:45 Uhr des Folgetages) (vergl. Abb.: 2).

Bilanzierung für ca. 24 Stunden (Aufnahmetag = 4,7 h, Folgetag 20.45 h).

  • Die Flüssigkeits-Zufuhr erfolgte mit 2 L Glukose 5 %, 7,1 L Jonosteril und 2 L Sterofundin BG-5, somit gesamt 11,1 L/24 h.
  • Die Flüssigkeits-Ausscheidung wird hier mit praktisch 0 L in 24 h angenommen,
    • da die Gabe von Desmopressin, ein synthetisches Analogon des natürlichen Hormons Arginin-Vasopressin, als Antidiuretisches Hormon (ADH) wirksam wird;
    • da bei exzessiver Flüssigkeitstherapie (5 - 50 l/d) mit kristalloiden Lösungen die maximale tägliche Urinausscheidung unter entsprechender Hyperhydratation mit Zunahme des Körpergewichts auf ca. 3 l limitiert (Mittelwert von 9 Serien 3,1 ± 0,7 l/d) ist.
      Literatur: Virgilio RW et al: Surgery 1979; 85: 129-139; Shackford SR et al.: Surgery 1983; 94: 41-51; Drummer C et al.: Am J Physiol 1992; 262: F744 - F754; Jaber BL et al.: Am J Kidney Dis 1997; 30: 561-567; Kumle B et al.: Anesth Analg 1999; 89: 1124-1130; Arieff AI: Chest 1999; 115: 1371-1377; Holm C et al.: Burns 2000; 26: 25-33.
  • Eingesetzte Infusionslösungen (Zusammensetzung Anhang II)
  1. Glukose 5 % verhält sich wie freies Wasser mit einer Osmolalität von 0 mosmol/kg H2O.
  2. Jonosteril Infusionslösung (Fresenius Kabi Deutschland)
    cNa 137 mmol/l, 270 mosmol/kg H2O), mit 6 % leicht hypoton.
  3. Sterofundin BG-5 Infusionslösung (B. Braun Melsungen)
    cNa 53,7 mmol/l, 180 mosmol/kg H2O, extrem hypoton.
  • Verabreichte Volumina (ml)
  1. Glukose 5%-Infusionslösung: 2.000
  2. Jonosteril: 7.100
  3. Sterofundin BG-5: 2.000

Bilanzen

Im Folgenden wird eine grobe Abschätzung vorgenommen, grob weil die Konzentrations-Änderungen nicht linear erfolgen, wie am Beispiel der Hämoglobin-Konzentration (cHb) bzw. Fibrinogen, (cFib) gezeigt wird:

Die Rechenschritte der groben Abschätzung der Dilutions-bedingten
- Anämie (Abnahme der cHb),
- Hypo-Natriämie (Natrium-Konzentration, cNa) und
- Hypo-Osmolalität (mosmol/kg H2O)
finden sich im Anhang.

Vergleich der Messwerte mit den Vorhersagen:
Gemessen wurde eine cHb von 5,5 g/dl, grob abgeschätzt 5,9 g/dl.
Gemessen wurde eine Natrium-Konzentration von 118 mmol/l, grob abgeschätzt 121.
Gemessen wurde eine Osmolalität von 242 mosmol/kg H2O, grob abgeschätzt 269.

Beurteilung des Vergleichs der Messwerte mit den Vorhersagen:
Während die Hämoglobin- und die Natrium-Konzentration eine akzeptable Übereinstimmung zwischen Messwert und Vorhersage ergeben, fällt bei der Osmolalität eine deutliche Diskrepanz auf, die zu folgenden Anmerkungen führt:

  • Es ist offensichtlich, dass Glukose 5 % sowie Sterofundin BG-5 eine massive Hypo-Osmolalität verursachen.
  • Der abgeschätzte Wert von 269 mosmol/kg H2O erscheint realistisch, wie aus der folgenden Abbildung abgeleitet wird (Abb. aus 6):
  • Bei einer dargestellten Osmolalitäts-Abnahme von 3 % (288 auf 280) muss das Blut- bzw. Liquor-Volumen um 40 ml abnehmen, d.h. die Durchblutung muss z.B. um 40 ml abnehmen, also 30 % des intrazerebral vorhandenen Blutvolumens.
    Bei einer Abnahme von 6 % (288 auf 269) wie hier abgeschätzt, wären dies 80 ml, also schon ca. 60 % des intrazerebralen Blutvolumens.
     
  • Unter der (willkürlichen) Annahme, dass allein die Natrium-Konzentration von 142 auf 118 mmol/l um 24 mmol/l abgesenkt wurde, ergibt sich noch die Möglichkeit, die daraus resultierende Abnahme der Osmolalität wie folgt zu berechnen [9]:

    Osmolalität (mosmol/kg H2O) = [Na (142) + K (4,5) + konst. Calcium/Magnesium (2,0) + Cl (103) + HCO3 (24) + Lact (1,5) + konst. Phosphat/Sulfat/org. Säuren/Proteinat (4,5) + Glukose (5,0) + Urea (5,0)] x 0,985 = 264 (genau 263,5).
    Dieser berechnete Wert ist relativ gut mit dem oben abgeschätzten Wert von 269 mosmol/kg H2O zu vergleichen.
     
  • Der Messwert von 242 mosml/kg H2O muss angezweifelt werden.
    Eine weitere Reduktion des intrazerebralen Blut und / oder Liquorvolumens, also beim Messwert von 242 mosmol/kg H2O eine Abnahme um 16 %, dürfte eine weitere Abnahme des intrazerebralen Blut und / oder Liquorvolumens kaum realistisch sein.
     
  • Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Überlegungen eine Zunahme des Körpergewichts infolge Infusionstherapie um 11 kg unterstellt, die sich auf das ECV + ICV verteilt. Die Formulierung „unter nun einsetzender überschießender Diurese, spontaner Negativbilanzierung sowie anschließendem Ausgleich mit kristalloider Vollelektrolytlösung … “ [1] belegt diese Annahme.
     
  • Für die klinische Medizin kann folgende Betrachtung über die knöcherne Schädel-Kalotte, die keine Volumenzunahme zulässt, wichtig sein.

    Eine Änderung des osmotischen Druckes im Gehirn, umgeben von 2 Kompartimenten ebenso nicht komprimierbarer Flüssigkeiten, führt zu einer massiven Druckzunahme:
    Eine Abnahme der Osmolalität um z.B. 20 mosmol/kg H2O (288 - 20) führt zu einer osmotischen und damit hydrostatischen Druckzunahme eines Mehrfachen des systolischen Blutdrucks von 120 mmHg. (Rechnung: Eine 1 molare bzw. osmolare Lösung erzeugt einen osmotischen Druck von 22,4 atm bzw. 17.000 mmHg und somit eine 1 mosmolare Lösung einen Druck von 17 mmHg, also 20 mosmol/l einen – unvorstellbaren – Druck von 340 mmHg). Diese immense Druckzunahme führt zu einer Volumenverschiebung aus der Schädel-Kalotte hinaus.
    Der – nach der Volumenverschiebung – verbleibende Anstieg des ICP beträgt im Tierversuch bei Abnahme der Osmolalität von 20 mosmol/kg H2O gemäß obiger Abbildung noch ca. 25 mmHg. Dieser Druckanstieg vermindert den sog. zerebraler Perfusionsdruck (CPP) ganz erheblich [11].

Eine Zustimmung gilt der – problematischen – Zusammenfassung:

„Bei gleichzeitiger Verabreichung [?] von Oxytocin und Desmopressin sind aufgrund der Addition [?] der antidiuretischen Wirkung gerade bei forcierter [?] Volumenersatztherapie [?] engmaschige Elektrolytkontrollen zwingend erforderlich. Die Flüssigkeitszufuhr sollte auf das notwendige Maß beschränkt und dabei auf die Gabe glukosehaltiger [?] Trägerlösung verzichtet werden.“

Eine Zustimmung wird verweigert:

In einer deutschen Anästhesiologischen Zeitschrift wird von 12 Ärzten (2 Klinikdirektoren, 2 Herausgeber, 2 (nicht genannte) Gutachter und 6 Autoren) eine iatrogene, potenziell lebensbedrohliche Arzneimittel-Wirkung mit – unklarer Genese – bezeichnet. Tatsächlich wird diese Arzneimittel-Wirkung – seit 25 Jahren in der Weltliteratur detailliert als Hypo-Natriämie mit Hypo-Osmolalität bekannt – anhand einfacher Überlegungen prognostiziert.

Literatur

  1. Brandt CM, Benner A, Pietsch L, Medl M, Kunze M, Kalbhenn J
    Schwere Hyponatriämie nach Kombination von Oxytocin mit Desmopressin bei postpartaler Hämorrhagie
    Anästh Intensivmed 2023; 64: 218-223
  2. Arieff AI
    Editorial: Postoperative hyponaträmic encephalopathie following elective surgery in children
    Pediatric Anaesthesia 1998; 8: 1-4
  3. Zander R, Adams HA, Boldt J, Hiesmayr MJ, Meier-Hellmann A, Spahn DR, Standl T
    Forderungen und Erwartungen an einen optimalen Volumenersatz
    Anästhesiol Intensivmed Notfall Schmerzther 2005; 40: 701-719
  4. Zander R
    Infusion fluids: Why should they be balanced solutions?
    EJHP Practice 2006; 6: 60-62
  5. Ayus JC, Achinger SG, Arieff A
    Brain cell volume regulation in hyponatremia: role of sex, age, vasopressin, and hypoxia
    Am J Physiol Renal Physiol 2008; 295: F619-F624
  6. Zander R
    Intrakranieller Druck und hypotone Infusionslösungen
    Anaesthesist 2009, 58: 405-409
  7. Funk C-G, Lindner G, Druml W et al.
    Incidence and prognosis of dysnatremias present on ICU admission
    Intensive Care Med 2010; 36: 304-311
  8. Van Aken HK, Kampmeier TG, Ertmer C, Westphal M
    Fluid resuscitation in patients with traumatic brain injury: what is a SAFE approach?
    Curr Opin Anaesthesiol 2012: 25: 563-565
  9. Fazekas AS, Funk GC, Klobassa DS, Rüther H, Ziegler I, Zander R, Semmelrock HJ
    Evaluation of 36 formulas for calculating plasma osmolality
    Intensive Care Med 2013; 39: 302-308
  10. Mertzlufft F, Brettner F, Crystal GJ, Hollmann MW, Kasatkin A, Lönnquist PA, Singer D, Sümpelmann R, Wenzel V, Zander R, Ziegenfuß T
    Intravenous fluids: issues warranting concern
    Eur J Anasthesiol 2022; 39: 388 - 394-396
  11. Zander R
    Flüssigkeitstherapie 2. erweiterte (korrigierte) Auflage 2023 – PDF

 

Fußnote

Da hier zahlreiche Institutionen, Pharma-Unternehmen, Fachgesellschaften, Arzneimittel-Kommissionen, Wissenschafts-Verlage sowie 12 Ärzte angesprochen sind, ergeht – an alle – die Einladung, diesen Beitrag bzw. die Publikation (Anästh Intensivmed 2023; 64: 218-223) in Physioklin zu kommentieren.