Eine willkürliche Auswahl von in Deutschland vertriebenen Elektrolytlösungen (Rote Liste, Stand 2004) zeigt, dass die Titrationsazidität (TA, Herstellerangaben) unproblematische Werte aufweisen. Eine Ausnahme davon findet sich nur bei Lösungen eines Herstellers (Serag Wiessner), der trotz mehrmaliger Nachfrage offensichtlich eine um eine Zehnerpotenz zu hohe TA angibt. Per definitionem muss der BE um den Betrag von 24 mmol/l negativer ausfallen als die TA. Die nicht unerheblichen Konzentrationen an metabolisierbaren Anionen machen in der Summe (ΔBE) bis zu 55 mmol/l aus mit der Folge, dass die BEpot-Werte von - 13 (Jonosteril Bas mit Glukose) bis + 31 mmol/l (Tutofusin K10) variieren. Eine normale Leberfunktion vorausgesetzt, erzeugt 1 Liter Tutofusin K 10 beim Patienten einen BE von + 2 mmol/l, während die Ringer-Laktat-Lösung bilanzmäßig praktisch ausgeglichen (BEpot + 3 mmol/l) ist.
Die Tab. Elektrolytlösungen Europa und USA enthält ausgewählte Elektrolytlösungen der angegebenen Märkte sowie eine Beurteilung.
Die Strategie der Hersteller strebt ein physiologisches Elektrolytmuster an und nimmt dabei Lösungen in Kauf, die nach Infusion ansäuern und nach potentieller Metabolisierung der Anionen erheblich alkalisieren unter deutlicher zwangsweiser Steigerung des O2-Verbrauchs des Patienten (QO2).
Mit dem Anspruch, weitgehend physiologisch zusammengesetzte Elektrolytlösungen für den Flüssigkeitsersatz (nicht Volumenersatz) bereitzustellen, werden zunehmend so genannte balancierte Lösungen angeboten. Wiederum im Vergleich zu Plasma und 0,9 %iger NaCl-Lösung werden in der Tab. Vergleich balancierter Elektrolytlösungen (Stand 2006) entsprechende Präparate mit ihrer Zusammensetzung beschrieben.
Es ist offensichtlich, dass derzeit nur zwei isotone balancierte Lösungen zur Verfügung stehen, entweder mit deutlich alkalisierender Wirkung (E 153 Serumwerk Bernburg) oder erstmals mit BEpot von 0 mmol/l ohne Wirkung auf den Säure-Basen-Status des Patienten, allerdings mit leicht hyperchlorämischem Nebeneffekt (Sterofundin ISO, B. Braun Melsungen).
Volumenersatzmittel weisen, mit einer Ausnahme, BE-Werte von - 24 mmol/l auf, weil sie kein Biakarbonat enthalten. Gelifundol, in einer Glasflasche angeboten, ist seit 2004 nicht mehr auf dem Markt erhältlich, es hatte als einzige Lösung eine HCO3--Konzentration von 30 mmol/l und damit einem BE und BEpot von + 6 mmol/l. Alle anderen Lösungen weisen BEpot-Werte von - 24 bis + 31 mmol/l auf, je nachdem ob sie metabolisierbare Anionen enthalten oder nicht: Gelifundol und Gelafusal sind praktisch ausgeglichen, Lösungen ohne metabolisierbare Anionen (BEpot - 24 mmol/l) erzeugen pro Liter infundierter Lösung beim Patienten einen BE von - 1,5 mmol/l, einen Extrazellularraum von 15 l angenommen, während Longasteril 70 mit Elektrolyten (BEpot + 31 mmol/l) nach Infusion und Metabolisierung pro Liter Lösung einen BE von + 2 mmol/l im Patienten erzeugt.
Die Tab. Volumenersatzlösungen Deutschland und USA enthält ausgewählte Volumenersatzlösungen der angegebenen Märkte sowie eine Beurteilung.
Die Strategie der Hersteller nimmt Lösungen mit mehr oder weniger unphysiologischem Elektrolytmuster in Kauf, die alle nach Infusion ansäuern und nach potentieller Metabolisierung der Anionen die Dilutions-Azidose rückgängig machen oder nicht, wobei in Einzelfällen nur eine mäßige Steigerung des O2-Verbrauchs des Patienten erzwungen wird.
Aminosäurehaltige Lösungen weisen extreme BEpot-Werte von + 10 bis - 227 mmol/l auf: 1 Liter Traumasteril belastet den Patienten mit 227 mmol H+, also das Dreifache der normalen täglichen H+-Elimination über die Niere. Am Beispiel von Aminosteril plus wird die Problematik verdeutlicht: 1 Liter Lösung erzeugt nach Infusion beim Patienten im EZR von 15 l einen BE von - 4 mmol/l, der nach Metabolisierung der Anionen organischer Säuren auf + 8 mmol/l ansteigt, um nach Metabolisierung der Aminosäuren auf ca. 0 mmol/l zu fallen. Im Idealfalle wird der BE des Patienten nicht beeinflusst, die gleichzeitige Metabolisierung aller Anionen bzw. Aminosäuren unterstellt.