Alter von Erythrozyten-Konzentraten

Lebensgefahr durch alte Blutkonserven

Der Spiegel berichtet unter dieser Überschrift im Oktober 2008 darüber, dass für den Patienten durch Transfusion zu alter Blutkonserven, gemeint sind Erythrozyten-Konzentrate (EK's), eine Gefahr entstehen könnte.

Daher soll hier zum Thema

Alter von Erythrozyten-Konzentraten

ein Kommentar abgegeben werden, der eigentlich schon seit Juli 2008 notwendig war, weil damals unter dem Titel Größere Blutung - Azidose verhindern! auf die Problematik alter EK's aufmerksam gemacht wurde:
Eine Massiv-Transfusion verursacht eine metabolische Azidose mit Coagulopathie, allein die Anzahl transfundierter EK's hat einen Einfluss auf die Mortalität, ebenso eindeutig das Alter transfundierter EK's.
Dass das Alter von EK's, gemeint ist die Lagerungsdauer (meistens 42 Tage maximal, also 6 Wochen bei 4 °C) seit der Abnahme beim Spender, einen Einfluss auf die Mortalität von Patienten haben kann, wurde bereits 2006 publiziert [Basran et al]. Diese Daten sind in der Abbildung Mortalität und EK-Alter wiedergegeben.

Die Daten zeigen eindrucksvoll, dass bei einem speziellen Patientenkollektiv die Mortalität von Patienten deutlich zunimmt, wenn sie zuvor – im Mittel – gut 5 EK's erhalten haben, die älter als 3 Wochen waren. Von 1989 bis 2008 haben sich verschiedene Autoren der gleichen Fragestellung angenommen und ihre negativen Ergebnisse publiziert, also das Alter der EK's hat keinen Einfluss auf die Morbidität oder Mortalität von Patienten:

  • Wenn Patienten unter koronarer Bypass-OP nach Transfusion von 2 Einheiten entweder frisches Vollblut oder 2-5 Tage alte EK's erhalten, wird kein Unterschied gefunden [Wasser et al. 1989];
  • ein Zusammenhang zwischen dem Alter der EK's (4,1 EK's 12,8 Tage alt) und der Mortalität kann nicht bestätigt werden [Vamvakas et al. 2000];
  • bei kritisch kranken Patienten wird nach Transfusion von 2 Einheiten EK's, entweder frisch (unter 5 Tagen) oder alt (über 20 Tage) kein Unterschied in den Labordaten gefunden [Walsh et al. 2001];
  • bei 585 herzchirurgischen Patienten, die im Mittel 5,7 EK's (17 Tage alt) erhalten haben, ist bezüglich der Morbidität keine Abhängigkeit vom Alter der EK's nachweisbar, das Vergleich-Kollektiv hatte keine Transfusion erhalten [Leal-Noval et al. 2003];
  • ältere EK's haben keinen Einfluss auf die Mortalität von Trauma-Patienten, wenn sie 3 bzw. 6 EK's erhalten haben [Murrell et al. 2005];
  • ein Zusammenhang zwischen dem Alter der EK's und der Mortalität von 2.732 Koronar-Bypass-Patienten kann nicht bestätigt werden, die im Mittel 4 EK's erhalten haben, 12,7 bzw. 24,3 Tage alt [Van de Watering et al. 2006];
  • ein Zusammenhang zwischen dem Alter der EK's und der Mortalität von 670 Koronar-Bypass-Patienten kann nicht bestätigt werden, die im Mittel 3 EK's (15,2 Tage alt) mit einen Mix von EK's mit stark differierender Alter erhalten haben [Yap et al. 2008].

Interpretation
Erst ab einer Transfusionsrate von ca. 5 EK's mit einem Alter über ca. 3 Wochen besteht eine Gefährdung für den Patienten.

Wie ist der Spiegel-Beitrag zu interpretieren?

Der Artikel bezieht sich auf eine aktuelle (retrospektive) Untersuchung [Koch et al. 2008], bei der 2872 Patienten nach Herz-OP 11 Tage alte EK's erhielten und 3.130 Patienten 20 Tage alte EK's: Die innerklinische Mortalität betrug 1,7 gegenüber 2,8 % und war signifikant unterschiedlich, beide Gruppen erhielten allerdings im Mittel nur 2 EK's. Ein im gleichen Heft der Zeitschrift NEJM erschienenes Editorial [Adamson 2008] trägt den bezeichnenden Titel (auf Deutsch): Neues Blut, altes Blut oder gar kein Blut?

Worin besteht die Gefahr älterer EK's?

Wie bereits erwähnt, wurde hier im Juli 2008 unter dem Titel Größere Blutung - Azidose verhindern! auf die Problematik alter EK's aufmerksam gemacht:
Bei Transfusion größerer Mengen von EK's, man spricht dann von einer Massiv-Transfusion, wird durch eben diese Transfusion beim Patienten eine metabolische Azidose mit Coagulopathie erzeugt, die die unstillbare Blutung unterhält und somit zum Verbluten des Patienten führen kann. Je älter die EK's, desto größer die Gefahr.
Die Ursache hierfür liegt in der Tatsache, dass allein die Herstellung sowie die anschließende Lagerung von EK's zur Folge hat, dass ein frisches EK ein Basendefizit von 20 und ein 3 Wochen (21 Tage) altes ein Basendefizit von 40 mmol/l aufweist, während das Vollblut-Präparat (VB mit und ohne Leukozyten) besser abschneidet (vergl. Volumen- und Hämo-Therapie bei Massiv-Blutung), wie in der Abbildung Base Excess von Blutpräparaten dargestellt [Zander et al. 2001].

Daraus ergibt sich ein Zusammenhang zwischen der Anzahl transfundierter EK's und der Mortalität von Patienten nach Transfusion, was aber noch keine Kausalität belegt. Dies ist in der Abbildung Mortalität und Anzahl transfundierter EK's beschrieben, die immerhin eine Gesamtzahl von knapp 15.000 Patientendaten beinhaltet.

Was sind ältere EK's?

Es empfiehlt sich an dieser Stelle, einen internationalen Vergleich anzustellen, wie in der Tabelle Mittleres Alter transfundierter EK's dargestellt. Nach entsprechenden Publikationen beträgt das Alter transfundierter EK's im Mittel 20 Tage, also ca. 3 Wochen. Dabei fällt allerdings eine große Streuung auf, speziell in den USA sind danach 4 ½ Wochen (33 Tage) alte EK's keine Seltenheit.

Wie alt sind die EK's in Deutschland?

Eine Umfrage in Deutschland bei willkürlich ausgewählten Blutspendezentren hatte zum Ziel, die prozentuale Verteilung der ausgegebenen EK's zu erfragen, differenziert nach Wochen (1. Woche 1.-7. Tag, 2. Woche 8.-14. Tag usw.). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle in der 1. bis 3. Woche ausgelieferten EK's für den Patienten unproblematisch sind, unterstellt, das Datum der Auslieferung ist weitgehend identisch mit dem Datum der Transfusion.
Da es Anbieter gibt, die einmal ausgelieferte EK's auch dann nicht zurücknehmen, wenn die Kühlkette nachweislich nicht unterbrochen wurde, können diese natürlich die besten Ergebnisse liefern. Anbieter, die bei erhaltener Kühlkette EK's zurücknehmen, müssen dann logischerweise schlechter abschneiden, also im Mittel ältere EK's liefern. Dabei gibt es aber Ausnahmen: Wenn eine Transfusionszentrale nicht nur Hersteller sondern zugleich auch Depot ist (Mainz), kann es doch gelingen, 90 % der EK's mit einem Alter von 1 - 2 Wochen zur Transfusion zu bringen. Dabei müssen dann allerdings EK's bereits auch am Tag 0 ausgegeben werden (hier 7,7 %). Nach der bisherigen Datenlage darf unterstellt werden, dass EK's ab der 4. Woche dann für den Patienten problematisch sein können, wenn von ihnen mehr als ca. 5 Einheiten beim gleichen Patienten transfundiert werden.
Das Ergebnis ist in der Tabelle Exemplarische Auswahl EK-Alter in Deutschland zusammengestellt (T = Tage, Wo = Wochen).

Schlussfolgerungen

  • Gemäß aktueller Datenlage (2007/2008) werden ca. 90 % aller EK's mit einem Alter von nur 1-2 Wochen ("sehr gut" bis "gut") ausgegeben, besser als im internationalen Vergleich und deutlich besser als noch einige Jahre zuvor, nämlich z. B. 27-43 Tage bei Transfusion im Saarland im Jahre 2000 [Mörsdorf et al. 2001].
  • Das Alter bei Auslieferung ist nicht identisch mit dem bei Transfusion, was natürlich entscheidend für den Patienten ist.
  • Werden EK's vom überregionalen Anbieter nicht zurückgenommen, müssen lokale Krankenhausdepots angelegt werden, die die Lagerungsdauer deutlich erhöhen.
  • Werden EK's vom lokalen Anbieter zurückgenommen, wird die Lagerungsdauer deutlich erhöht. Allerdings gibt es hier positive Ausnahmen, wenn Herstellung und Depot optimal kombiniert werden.
  • Leider müssen aber auch 0-0,8 % der EK's als problematisch (5.-6. Woche) eingestuft werden, weil es sich - im Einzelfall bei einem überregionalen Anbieter - um größere Stückzahlen handeln kann (max. 2.262 EK's). 

Literatur

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