Aufgeschreckt durch aktuelle Meldungen in der Fachliteratur
Ärzte warnen vor Nervenschäden durch Lachgas (1)
Partydrogen: Lachen bis die Ärztin kommt (2)
sowie in der Presse
MITTEN IN REGENSBURG
Lachgas ist gar nicht so lustig (3)
fühlen sich erfahrene „Silberrücken“-Anästhesisten verpflichtet, auf die Gefahren von Lachgas hinzuweisen.
Seit einigen Jahren gibt es zunehmend Berichte über nicht-medizinische Anwendung von Lachgas zum „recreational use“. Lachgas ist problemlos für jedermann erhältlich, z.B. aus Lachgaskartuschen zum Aufschäumen von Sahne. Solche Kartuschen kann man in jedem Supermarkt kaufen, neuerdings aber auch z.B. in Regensburg aus einem Snackautomaten ziehen, einsortiert zwischen „Twix“ und Kimchi-Tütensuppe zum Preis von „drei Kartuschen für fünf Euro“ (3). Man kann die Kartuschen dann mit einem „Cracker“ öffnen, das Gas in einen Luftballon strömen lassen und dann aus dem Ballon inhalieren. Inhaliertes Lachgas hat neben schnell einsetzenden und auch schnell wieder abklingenden analgetischen und (in hohen Konzentrationen) narkotischen Wirkungen vor allem auch euphorisierend-psychotrope Effekte. Es wurde daher noch vor seiner ersten Anwendung zu Narkosezwecken (1844) auf Jahrmärkten zur Belustigung und zum Vergnügen eingesetzt. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird Lachgas in vielen Krankenhäusern bis heute zur klinischen Anästhesie (Narkose) und Analgesie (Schmerzfreiheit) verwendet. Die Kurzzeitanwendung gilt in den allermeisten Fällen als sicher, wenn sie durch kundige Personen in einem angemessenen Überwachungsrahmen unter Wahrung elementarer Sicherheitsvorschriften erfolgt. So wird Lachgas etwa auch in vielen Ländern zur Analgesie im Kreißsaal und im Rettungsdienst verwendet, was man ja nicht tun würde, wenn von der Kurzzeitanwendung eine nennenswerte Toxizität oder sonstige erhebliche Gefahren zu erwarten wären.
Obwohl also Lachgas selbst in der sachgemäßen Kurzzeitanwendung keine nennenswerte Toxizität entfaltet, sind mit der unsachgemäßen Anwendung vielfältige Gefahren verbunden, die von kurzfristigen Beeinträchtigungen (Schwindel, Kopfschmerzen, Ohnmacht) bis hin zu Langzeitschäden und Tod führen können. Die Schädigungsmechanismen sind dabei sehr unterschiedlich, etwa Blutbildstörungen und Nervenschädigung durch Strukturveränderungen und dadurch Inaktivierung von Vitamin B12 bei Langzeitanwendung oder rauschinduzierten Selbstverletzungen durch Unfälle oder Stürze bei Akutvergiftung, ähnlich wie bei einem schweren Alkoholrausch. Die wichtigste Gefahr in der Akutanwendung von Lachgas ist aber wohl die Hypoxie (Sauerstoffmangel). Zur Hypoxie kann es dabei sowohl zu Beginn und während der Lachgasanwendung als auch in der Abklingphase des Rausches kommen.
Lachgas ist chemisch N2O (nitrous oxide) und enthält somit zwar Sauerstoff, der aber nicht verwertbar ist.
Die Lachgasanwendung muss also immer mit einem ausreichenden O2-Anteil (> 21 %) in der Einatemluft erfolgen, um eine Hypoxie zu vermeiden. Im medizinischen Ablauf wird daher Lachgas immer mit Sauerstoff zusammen verabreicht, oft liegt das Gas vorgemischt in einem Verhältnis 50 % O2 / 50 % N2O vor, so dass es damit unmöglich ist, ein hypoxisches Gasgemisch zu verabreichen.
Im außermedizinischen Bereich hingegen wird Lachgas vermutlich praktisch immer als Lachgas-Luftgemisch eingeatmet oder sogar pur: 100 % Lachgas (Inhalation aus einem Lachgas-gefüllten Ballon). Da normale Atmosphärenluft im Wesentlichen ein Sauerstoff/Stickstoff-Gemisch ist mit 21 % O2 und 78 % N2 (plus ca. 1 % weitere Gase), führt jedes in nennenswerten Mengen zugemischte zusätzliche Gas in der Einatemluft zu einer Abnahme der Sauerstoffkonzentration in der Inspirationsluft und somit zu einem hypoxischen Gasgemisch: Bei 50 % Lachgas plus 50 % Luft liegt die Sauerstoffkonzentration nur noch bei knapp über 10 %. Es ist klar, dass minutenlanges Einatmen eines solchen hypoxischen Gasgemisches, erst recht von 100 % Lachgas, zu beliebig schweren und schließlich irreversiblen zerebralen Schäden führen kann. Wenn man eine Sauerstoffkonzentration in der Inspirationsluft von 17 % als untere Toleranzgrenze ansetzt (das ist ja in etwa die Konzentration, mit der die O2-Gabe während der Mund-zu-Mund-Beatmung erfolgt), so stellt eine Lachgaskonzentration von 20 % in der Inspirationsluft (mit Luft als Trägergas) die Grenze des Akzeptablen dar. Aber der psychotrope Effekt von nur 20 % Lachgas ist natürlich relativ gering, erzeugt aber nichtsdestoweniger bereits eine Analgesie (Schmerzfreiheit).
Unbemerkte Selbstverletzungen könnten also bereits bei einer so geringen Lachgaskonzentration gehäuft auftreten. Und eine Lachgaskonzentration von 30 % in der Einatemluft (wieder mit Luft als Trägergas) führt zu einem akut gefährlichen hypoxischen Gemisch mit nur noch etwa 14 % Sauerstoff, das ist bekanntlich der Bereich, in dem Kerzen erlöschen.
Ein zusätzliches Hypoxie-Problem ergibt sich dann, wenn das mittlerweile im Blut (und Gewebe) gelöste Lachgas wieder aus dem Körper in die Lunge ausströmt. Lachgas ist etwa 35mal besser im Blut löslich als Stickstoff, daher diffundieren für jedes N2-Molekül, das am Ende der Lachgasanwendung wieder aus der Lunge im Blut aufgenommen wird, 35 N2O-Moleküle aus dem Blut in die Lunge. Das führt dort zu einer Änderung der Gaszusammensetzung mit Verdrängung von O2 durch N2O. Da mehr Gasvolumen vom Blut in die Lunge strömt als gleichzeitig eingeatmet wird, wird der Sauerstoff dort verdünnt, so dass weniger O2 zur Verfügung steht. Sofern nach Ende der Lachgasanwendung weiter Raumluft geatmet wird – und das ist ja sicher das Übliche beim „recreational use“ –, resultiert eine sog. Diffusionshypoxie.
Die Schwere der Diffusionshypoxie lässt sich heute leicht mittels eines Fingerclips eines Pulsoxymeters an der rasch einsetzenden Abnahme der Sauerstoffsättigung des arteriellen Blutes einschätzen – aber dieses Sicherheitsmonitoring wird wohl kaum im Partybereich zur Anwendung kommen (obgleich das problemlos möglich wäre: es gibt Pulsoxymeter heute für jedermann bereits für unter 20 € zu erwerben). Die Hypoxie erreicht meist nach etwa 4 Minuten ihre stärkste Ausprägung und hält bis zu etwa 10 Minuten an. Die Sauerstoffsättigung des Blutes kann so, abhängig von der vorher eingeatmeten Lachgasfraktion, selbst bei einer normalen Ausgangssättigung von 95 – 97 % bis auf 80 % und somit auf ein durchaus hypoxisch-bedrohliches Niveau abfallen. Dieses Problem ist in der Anästhesiologie seit vielen Jahrzehnten bekannt; es tritt in der sog. Ausleitungsphase einer Lachgasnarkose auf und kann durch eine etwa 10-minütige Sauerstoffgabe nach Ende der Lachgas-Applikation sicher vermieden werden.
Es ist klar, dass eine Hypoxie kurzfristige, aber auch langfristige oder anhaltende neurologische Schäden induzieren kann bis hin zu Koma und Tod. Oder wie es im Artikel Ärzte warnen vor Nervenschäden durch Lachgas heißt (1): „Der Lachgaskonsum [kann] Bewusstlosigkeit, Lähmungserscheinungen und Hirnschäden hervorrufen.“ Andererseits ist aber auch durch Berichte in der Laienpresse lange bekannt, dass Hypoxie das Lustempfinden steigern und also auch die lachgasinduzierte Euphorie verstärken kann, siehe etwa der Artikel Lust ohne Luft (4); hierin wird auch explizit die Erwähnung von Lachgasbeimengung zur Inspirationsluft als Mittel zur Erzielung einer Hypoxie („Sahnespenderflaschen, deren Druckkartuschen das euphorisierende Distickstoffoxid (Lachgas) enthalten“). Insofern muss man davon ausgehen, dass für einige Anwender die Lachgasinduzierte Hypoxie geradezu erwünscht ist – ein echt gefährliches Spiel!
Natürlich muss sich jeder ernsthaft fragen, ob er sich überhaupt einem Lachgasrausch aussetzen sollte. Allerdings wird man wahrscheinlich mit von Ärzten basierten Warnungen kaum in die drogenwillige Partyszene durchdringen. Wenn überhaupt ist jedenfalls eine sichere Anwendung nur bei einer niedrigen Lachgaskonzentration in der Inspirationsluft gegeben, sofern das Trägergas Luft ist – was anderes steht aber wohl üblicherweise auf Partys nicht zur Verfügung. Die euphorie- und luststeigernde Wirkung der bei höheren Konzentrationen in einem Lachgas-Luft-Gemisch nahezu zwangsläufig begleitend auftretende Hypoxie (zu Beginn und am Ende der Lachgaszufuhr) wird durch eine hohe Gefährdung des Anwenders erkauft. So kann es in der Tat, um die Formulierungen des DÄ noch einmal aufzugreifen, zu Bewusstlosigkeit und Lähmungserscheinungen bis hin zu Hirnschäden kommen, wenn Lachgas als vermeintlich harmlose Partydroge konsumiert wird (2). Aktuell sollte man den Blick in die Niederlande werfen: Dort ist Lachgas seit 2023 verboten, weil es die Droge Nummer eins unter Schülern geworden ist (3).
Dr. med. Thomas Ziegenfuß
Chefarzt der Abteilung für
Anästhesie und Intensivmedizin
St. Josef Krankenhaus GmbH
Moers
Prof. Dr. med. Jochen Hinkelbein
Klinikdirektor
Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin
Johannes Wesling Klinikum Minden
Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
Minden
Prof. Dr. med. Matthias Jacob
Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie,
Operative Intensivmedizin und Schmerzmedizin
Barmherzige Brüder
Klinikum St. Elisabeth Straubing GmbH
Straubing
Prof. Dr. med. Franz Kehl
Direktor der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin
Ärztlicher Direktor
Städtisches Klinikum Karlsruhe
Karlsruhe
Prof. Dr. med. Wolfgang A. Krüger
Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin,
Notfallmedizin und Schmerztherapie (AINS)
Ärztlicher Direktor Klinikum Konstanz
Konstanz
Prof. Dr. med. Friedrich Mertzlufft
Wissenschaftlicher Direktor
Evangelisches Klinikum Bethel
v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel
Universitätsklinikum OWL der Universität Bielefeld
Bielefeld