DAC-2007: Tom Sietas – Apnoe-Rekord unter Hyperoxie

Presse-Verlautbarung

Presse-VerlautbarungHamburg, 6. Mai 2007: Über hundert geladene Gäste hielten bei der Abendveranstaltung von Linde Gas Therapeutics im Rahmen des Deutschen Anästhesie-Congresses 2007 buchstäblich den Atem an, als der Apnoe-Taucher Tom Sietas unter medizinischer Überwachung in einem Wassertank abtauchte. 16 Minuten und 14 Sekunden später hatte er einen inoffiziellen Weltrekord im Tauchen mit Präoxygenierung aufgestellt – ein neuer Nachweis, dass die präventive Gabe von 100 % Sauerstoff den Überlebensspielraum bei Atemstillstand erheblich verlängert. Die Bestleistung von Sietas mit normaler Luft liegt bei 9 Minuten und 8 Sekunden. Der spektakuläre Versuch stand unter der Aufsicht und wissenschaftlichen Begleitung von Prof. Dr. Rolf Zander (ehem. Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Mainz) und Prof. Dr. Jörg Weimann (Klinik für Anästhesiologie des VU Medical Center, Amsterdam).
 
Ausschnitte eines Video-Mitschnittes dieser Veranstaltung können hier gestartet werden:
Für Windows Media Player wmv-Format, 87 MB

Der wissenschaftliche Hintergrund wird im Folgenden dargestellt - hoffentlich wie schon bei der Veranstaltung auch für Laien verständlich.

Apnoe-Rekord unter Hyperoxie

Rückblick

Der von Tom Sietas gehaltene Apnoe-Rekord von 9 Minuten unter Luft-Atmung wird am 18.10.2006 im ZDF bei J. B. Kerner diskutiert, ein Tauchgang im Becken wird nach 6 Minuten abgebrochen. Das Risiko dieses Versuches besteht darin, dass der Taucher nach subjektiver Erfahrung genau den Zeitpunkt der Beendigung bestimmen muss, bei dem die Hypoxie seine lebenswichtigen Organe, Gehirn und Herz, zu gefährden droht. Die während der Apnoe entstehende Hyperkapnie wird weitgehend ausgeschaltet, weil der Taucher vor dem Tauchgang seinen CO2-Speicher durch intensive Hyperventilation entleert.

Hypoxie

Erfahrungen mit akuter Hypoxie werden in der Medizin häufig gemacht. Auch jeder Laie kann allein in körperlicher Ruhe Hypoxie-Erfahrungen sammeln, nämlich beim Aufenthalt in größeren Höhen. Beispiele dafür sind in der Abb. Pulsoxymeter-Anzeige bei verschiedenen Höhen wiedergegeben. Als Extremfall kann der Aufenthalt auf dem höchsten Berg weltweit gelten, den man als Tourist in weniger als 1 Stunde (per Seilbahn) erreichen kann, also nicht höhenadaptiert, nämlich der Pico Espejo in Venezuela mit einer Höhe von 4.865 m. Ausgeprägte Hypoxie-Reaktionen in körperlicher Ruhe, außer einer gewissen Müdigkeit, werden bei den zehntausenden von Touristen nicht bemerkt, insbesondere keine Hyperventilation [Details dazu bei Zander, Mertzlufft 1996].

Ausgehend von diesen Befunden wurden in der Tab. Therapeutische Grenzwerte für den Anästhesisten obligatorische und fakultative Grenzwerte einer Hypoxie definiert [Zander, Mertzlufft 1996].

Apnoe

In Deutschland werden pro Jahr etwa 8 Millionen Menschen in Intubationsnarkose operiert, das bedeut, dass dem Patienten vom Arzt eine medikamentöse muskuläre Blockade aufgezwungen werden muss, die auch die Atmung zum Stillstand bringt, also eine erforderliche Apnoe. Sie ist Voraussetzung dafür, dass der Patient über einen in die Luftröhre eingeführten Tubus beatmet werden kann.
Für den Anästhesisten bedeutet dies, dass er nur maximal 2 Minuten Zeit hätte, die Intubation erfolgreich vorzunehmen. Bietet er hingegen dem Patienten zuvor reinen Sauerstoff (100 % O2) anstelle von Raumluft (21 % O2) zur Atmung an, so kann der Sauerstoff-Speicher der Lunge so weit aufgefüllt werden, dass eine Zeit von etwa 10 Minuten Apnoe-Dauer vom Patienten problemlos toleriert wird. Dies schafft Sicherheit und sollte routinemäßig als so genannte Präoxygenierung durchgeführt werden. Die Quantifizierung dieses Sachverhaltes wird in der Tab. Intrapulmonaler O2-Speicher dargestellt [Zander 2005].

Nach normaler Luft-Atmung beträgt der intrapulmonale O2-Speicher mit 235 ml in etwa der Menge, die ein Erwachsener gerade pro Minute verbraucht (250 ml/min). Diese Verhältnisse ändern sich aber deutlich, wenn Frühgeborene, Kleinkinder oder Schwangere betrachtet werden, wie man an der Abb. Vorhersage der Pulsoxymeter-Anzeige bei Apnoe ersehen kann (rot), d. h. eine Hypoxie muss in deutlich weniger als 1 Minute Apnoe-Dauer eintreten.

Apnoe unter Hypoxie

Ein von Tom Sietas freundlicherweise überlassenes Protokoll wird in der Abb. Tauchversuch Tom Sietas nach Atmung von Luft wiedergegeben. Es ist offensichtlich, dass der intrapulmonale O2-Speicher sehr schnell erschöpft ist, bei einer O2-Sättigung von ca. 45 % wird der Versuch von ihm beendet.

Hyperoxie

Die Abb. Vorhersage der Pulsoxymeter-Anzeige bei Apnoe zeigt sehr deutlich, wie sich die Verhältnisse erheblich verbessern, wenn der Patient oder Taucher vor der Apnoe 100 % O2 im Sinne einer Präoxygenierung angeboten bekommt (grün).
In der Tab. Intrapulmonaler O2-Speicher werden dazu konkrete Angaben gemacht: Unter Hyperoxie können intrapulmonal erhebliche Mengen von O2 zusätzlich gespeichert werden, für den Erwachsenen jetzt maximal ca. 2.250 ml. Für den Fall eines Atemstillstandes nach erfolgreicher Füllung des intrapulmonalen O2-Speichers ändern sich damit die Zeiten bis zu einem Abfall der arteriellen O2-Sättigung auf 75 % nun ganz erheblich: Beim Erwachsenen von ca. 1 min unter Normoxie auf ca. 10 min unter Hyperoxie, beim Frühchen von ca. 10 s unter Normoxie auf ca. 2 min unter Hyperoxie.

Apnoe unter Hyperoxie

Apnoe-Taucher sehen den Atemstillstand als Herausforderung an und versuchen daher, die Bedingungen für seine Ausdehnung zu optimieren. Während ein erwachsener Patient beim Atemstillstand ein Lungenvolumen von etwa 3 Liter aufweist, verfügt der Sportler nach maximaler Einatmung über ein Lungenvolumen von maximal etwa 10 Liter. Weiterhin wird der Taucher vermehrt atmen (Hyperventilation), um seinen CO2-Speicher vor dem Tauchgang möglichst optimal zu entleeren. Bei Versuchen mit so genannten Kampftauchern der Bundeswehr wurde dementsprechend ein Rekord von 14,5 Minuten Apnoe-Dauer nach Atmung von 100 % Sauerstoff eingestellt [Neubauer, Zander 1996]. Der limitierende Faktor, den der Taucher jetzt üben muss, ist der Umgang mit der Hyperkapnie, die ihn allein zwingt, den Tauchgang zu beenden. Bei den Kampftauchern betrug der höchste, mit einem Kapnometer endexspiratorisch gemessene Wert 85 mmHg.

Rekord-Versuch Tom Sietas unter Hyperoxie

Die individuellen Daten des O2-Speichers der Lunge von Tom Sietas sind in der Tab. O2-Speicher Tom Sietas aufgeführt, zusätzlich der seines Blutes. Die große Vitalkapazität wird nochmals deutlich erhöht, indem er, wie die meisten Apneo-Taucher auch, vor dem Tauchgang weitere Luft über eine „Mund-Pumpe“ (hier Auto-PEEP genannt) aufnimmt. Damit verfügt er über eine Total-Kapazität von 12,5 l, die nach Umrechnung auf Standardbedingungen beachtliche 11,0 l Totalkapazität ergibt. Bei einer O2-Konzentration von 92 % nach Atmung von 100 % O2 ergibt dies 10 l Sauerstoff und damit eine theoretische Apnoe-Dauer von 40 Minuten, einen O2-Verbrauch von 250 ml/min unterstellt.
Damit ist klar, dass Tom Sietas mit Sicherheit auf den vergleichsweise kleinen O2-Pool in seinem Blut nicht zurückgreifen muss. Das Pulsoxymeter wird also während des gesamten Versuches einen „langweiligen“ Wert von angenähert 100 % anzeigen müssen. Damit ist auch absolut sicher, dass die Apnoe-Dauer ausschließlich davon bestimmt wird, bei welchem pCO2 (Hyperkapnie) er den Versuch abbricht. Je besser seine Hyperventilation daher vor dem Versuch ausfällt, desto länger wird er die Hyperkapnie tolerieren können.

Apnoe unter Hyperoxie: Fazit für die Klinik

Die optimale Präoxygenierung vor jeder iatrogenen oder akzidentellen Apnoe ist absolut obligatorisch und schafft ein hohes Maß an Sicherheit für den Patienten. Die Diagnostik der Hypoxie erfolgt heute mit dem Pulsoxymeter im arteriellen Blut und die der Hyperkapnie im Sinne einer permissiven Hyperkapnie mit dem Kapnometer endexspiratorisch.