Nach der VISEP-Studie (2008) ist nun im New England Journal of Medicine (NEJM) die zweite insuffiziente Arbeit zum Thema Hydroxyethylstärke und Sepsis erschienen: Eine Arbeit, die zusätzlich zu erheblichen Defiziten eine vollkommen inakzeptable Dokumentation aufweist.
Es stellt sich die Frage: Welche Gutachter haben wohl diese qualitativ minderwertige Arbeit durchgehen lassen ? Es wird höchste Zeit, dass das Gutachterwesen transparent gestaltet wird. Dazu berichtet die Süddeutsche Zeitung am 19.07.2012 über ein Projekt von mehr als 1000 anerkannten Biologen und Medizinern: Ihr Projekt Faculty of 1000 soll neben Forschungsergebnissen auch das Gutachterverfahren und die Originaldaten sichtbar machen.
Um die neue Arbeit [Perner et al. 2012] bezüglich der vollkommen inakzeptablen Dokumentation richtig einzuordnen, wurde Herr Prof. Brunkhorst (Jena) in seiner Funktion als Generalsekretär der deutschen Sepsisgesellschaft (DSG) um eine Stellungnahme dahingehend gebeten (12.07.12), ob die Arbeit Perner die Zielkriterien der DSG zur frühen hämodynamischen Stabilisierung erfüllt. Eine Antwort steht leider noch aus.
Zitate aus der 1. Revision der S-2k Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V. (DSG) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
(22. Februar 2010) „Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis“:
"Hämodynamische Stabilisierung
Vorbemerkung: Ziel der hämodynamischen Stabilisierung ist das Erreichen eines adäquaten zellulären O2-Angebotes unmittelbar nach Diagnosestellung der schweren Sepsis bzw. des septischen Schocks.
Maßnahmen zur initialen hämodynamischen Stabilisierung
Eine Volumensubstitution wird als erste Massnahme zur hämodynamischen Stabilisierung empfohlen.
Kommentar
Bei Patienten mit vermuteter Hypovolämie sollten initial 500 - 1000 ml Kristalloide oder 300 - 500 ml Kolloide über 30 min verabreicht werden. In der Regel ist der Volumenbedarf von Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock initial erheblich höher. Eine Wiederholung der Volumengabe richtet sich nach Wirkung (Anstieg von Blutdruck, Diurese, ScvO2) und Toleranz.
Zielparameter ist eine zentralvenöse Sauerstoffsättigung (ScvO2) > 70 %. Um eine ScvO2 > 70 % zu erzielen, wird die Gabe von Volumen, Dobutamin und Erythrozytenkonzentraten (bei Hkt < 30%) empfohlen.
Kommentar
Die Effektivität dieser Maßnahme ist jedoch bisher nur für Patienten mit initial deutlich erhöhten Laktatwerten eindeutig belegt. Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz können ScvO2-Werte < 70 % ohne Zeichen der Gewebehypoxie bzw. Organminderperfusion vorliegen. Welche der oben genannten Maßnahmen zur Anhebung der ScvO2 auf > 70 % im einzelnen zu dem Überlebensvorteil beitragen, ist nicht geklärt. Ob eine diskontinuierliche Messung der ScvO2 einer kontinuierlichen Messung gleichwertig ist, ist ebenfalls nicht geklärt.
Zur frühen hämodynamischen Stabilisierung wird ein Bündel von folgenden hämodynamischen Zielkriterien empfohlen:"
Hämodynamische Zielkriterien
Kommentare
Die folgenden Angaben beziehen sich auf die Baseline bzw. 0 - 12 und 12 - 24 h des ersten Tages, also die frühe Stabilisierung (golden hour), Median für Tetraspan (HES) und Sterofundin ISO (RA).
ZVD > 8 bzw. > 12 mmHg unter mechanischer Beatmung
Daten liegen nur für 28 - 38 % der Patienten (HES) bzw. 25 - 37 % (RA) vor, keine Differenzierung bzgl. Beatmung.
Angaben nach Wiederholung der Volumengabe fehlen.
MAP > 65 mmHg
Entsprechende Angaben fehlen.
Angaben nach Wiederholung der Volumengabe fehlen.
Diurese > 0,5ml/kg/Std
Die Daten liegen zu nahezu 100 % vor, alle Patienten liegen über den Tag 1 darüber.
zentralvenöse Sauerstoffsättigung (ScvO2) > 70 %
Die Daten liegen nur zu 33 - 45 % (HES) bzw. 33 - 48 % (RA) vor, alle Werte liegen zwischen 72 und 75 %.
Angaben nach Wiederholung der Volumengabe fehlen.
Laktat < 1,5 mmol/l bzw. Abfall des Laktats
Die Daten liegen zu 85 - 98 % vor (HES, RA).
Alle Werte liegen zwischen 2,0 und 2,2 mmol/l, ein Abfall des Laktats ist nicht dokumentiert.
Weitere Angaben: Hct < 30% / > 30 %
Entsprechende Angaben fehlen.
Fazit
Die Dokumentation genügt - auch nicht annäherungsweise - der Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft.
Für die ersten 3 Tage wird jeweils die Prozentzahl derjenigen Patienten genannt, für die der Erhalt der Test-Flüssigkeit dokumentiert wurde, für den Rest liegen, gemäß Tabelle 2 der Publikation, keine Angaben vor:
HES Sterofundin ISO
Tag 1 94% 94 %
Tag 2 72 % 76 %
Tag 3 44 % 43 %
Das bedeutet im Klartext, dass bereits am 3. Tag der Untersuchung für mehr als die Hälfte der Patienten keine Angaben über die Volumengabe der Testlösung vorliegen.
Ähnliches gilt für die „anderen Flüssigkeiten“ (Kristalloide, Wasser, Ernährung, synthetische Kolloide und Albumin) am 3. Tag:
Hier wurde nur für jeweils 79 % der Patienten dokumentiert, dass im Median 3.150 ml (Tetraspan) bzw. 3.035 ml (Sterofundin ISO) infundiert wurden, für 21 % der Probanden liegen keine Angaben vor.
Fazit
Die Dokumentation der Volumengabe der Testflüssigkeit sowie anderer Flüssigkeiten ist vollkommen unzureichend.
Die Dokumentation genügt auch nicht näherungsweise der Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft, die Ergebnisse sind daher nicht verwertbar.
Brunkhorst FM, Engel C, Bloos F et al.:
Intensive insulin therapy and pentastarch resuscitation in severe sepsis.
N Engl J Med 2008; 358: 125-139
Perner A, Haase N, Guttormsen AB et al:
Hydroxyethyl starch 130/0.4 versus Ringer´s acetate in severe sepsis.
N Engl J Med 2012; 367: 124-134