Kritik R. Zander, Physioklin
In einer aktuellen Publikation [12] werden Empfehlungen zur Induktion einer Hypothermie aus der Literatur übernommen, nämlich Infusion von eiskalter Ringer-Laktat-Lösung innerhalb von 30 min mit einer Dosierung von 30 ml/kgKG [2], wobei das gleiche Vorgehen auch mit Ringer-Azetat [13] beschrieben wird. Weitergehende Empfehlungen unter Verwendung von immerhin 40 ml/kgKG mit (isotoner) 0,9 % NaCl-Lösung [5, 10] werden von den Autoren nicht aufgegriffen.
Folgende Argumente sprechen gegen die Empfehlung, 4 °C kalte Ringer-Laktat-Lösung mit 30 ml/kgKG einzusetzen:
- Ringer-Laktat und -Azetat sind hypotone Lösungen und sollten in großen Mengen nicht eingesetzt werden, schon gar nicht so schnell (30 min). Hypotone Lösungen können ein Hirnödem und damit eine Steigerung des intrakraniellen Druckes (ICP) verursachen, was an anderer Stelle ausführlich besprochen wird [Intrakranieller Druck und Osmolalität von Infusionslösungen]:
Anhand von Tierexperimenten kann man vorsichtig voraussagen, dass eine Infusion von 2,25 l Ringer-Laktat oder -Azetat bei einem Patienten von 75 kgKG eine Senkung der Osmolalität des Extrazellularraumes von 288 (normal) auf 284 mosmol/kg H2O bewirkt, was zu einem Anstieg des ICP von 6 mmHg führen sollte. Dieser Anstieg des ICP kann nicht im Sinne der Postreanimationstherapie sein, wenn „die Letalität nach prähospitalem Herz-Kreislauf-Stillstand vor allem durch die zerebrale Schädigung bestimmt wird“ [12].
Allein unter diesem Gesichtspunkt wäre eine 0,9 %ige NaCl-Lösung von Vorteil, weil sie isoton ist, andere Argumente aber sprechen eindeutig gegen ihren Einsatz. - Es gibt keinen Sinn, Laktat zu infundieren, wenn eine Studie positiv beurteilt wird [12], in der die „Verbesserung metabolischer Parameter (Laktat, venöser Sauerstoffgehalt)“ beschrieben wird, weil das infundierte Laktat diese sinnvolle Diagnostik stören muss.
- Weitere Argumente, die gegen den Einsatz von Ringer-Laktat unter Nofallbedingungen sprechen, finden sich im Booklet Flüssigkeitstherapie.
Für eine derart rasche Expansion des Extrazellularraumes sollte in jedem Falle eine balancierte Lösung eingesetzt werden, die isoton und weitestgehend isoionisch ist und den Säure-Basen-Status des Patienten möglichst nicht alteriert (eine Acetat-haltige Lösung mit BEpot von 0 mmol/l), wie ausführlich beschrieben [Beurteilung derzeitiger Infusionslösungen].
Andreas Schneider* Erik Popp* Bernd W. Böttiger**
* Klinik für Anaesthesiologie, Universitätsklinikum Heidelberg
** Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Universität Köln
Die Infusion größerer Flüssigkeitsmengen zur Induktion einer milden therapeutischen Hypothermie nach Herz-Kreislauf-Stillstand ist ein relativ junges Konzept, das verschiedene Vorteile bietet. Zum einen besticht es durch seine außerordentliche Einfachheit, die insbesondere auch den präklinischen Einsatz ermöglicht. Tierexperimentelle Daten zeigen klar, dass die therapeutische Hypothermie möglichst früh nach dem Herz-Kreislauf-Stillstand induziert werden sollten [3, 8]. Nicht nur der frühe Einsatz „auf der Straße“ ist hierbei anzuführen, sondern auch die rasche Temperaturreduktion. Dem sind sonst nur wesentlich aufwändigere, invasive Verfahren wie endovaskuläre Kühlkatheter ebenbürtig.
Zum zweiten wird immer klarer, dass es im Rahmen eines Herz-Kreislauf-Stillstands zu einer Aktivierung des Entzündungssystems mit Entwicklung eines SIRS kommt, von Adrie et al. als „Sepsis-like syndrome“ bezeichnet [1]. Die Bedeutung der Flüssigkeitstherapie im Rahmen der Sepsis ist spätestens seit der Arbeit von Rivers et al. evident [11] und fest in den Leitlinien zu Sepsistherapie verankert. Eine kritiklose Übertragung dieses Konzepts auf den Herz-Kreislauf-Stillstand wäre sicher leichtsinnig. Tatsächlich konnten Bernard et al. bei Patienten nach Herz-Kreislauf-Stillstand unter Applikation von 30 ml/kg Ringer-Laktat jedoch eine hämodynamische Stabilisierung ohne Gefahr des Lungenödems zeigen [2]. Diese Überlegungen haben uns dazu veranlasst, die Anwendung kalter Infusionen zur Induktion einer milden therapeutischen Hypothermie nach Herz-Kreislauf-Stillstand in Übereinstimmung mit den Leitlinien des European Resuscitation Council klar zu empfehlen [4, 12]. Wir danken Herrn Prof. Zander für seine kritischen Hinweise hierzu, die wir gerne diskutieren:
- Da zur Induktion einer milden therapeutischen Hypothermie ca. 2 l Infusionslösung notwendig sind, bemerkt Herr Prof. Zander, dass deren Auswahl einiges Augenmerk erfordert. Beim Einsatz von NaCl 0,9 % ist eine Veränderung von sowohl Plasmaelektrolyten als auch Säure-Basen-Status zu erwarten. Der Einsatz von 2 l NaCl 0,9 % nach Herz-Kreislauf-Stillstand wurde kürzlich von Kim et al. untersucht; gegenüber der Kontrollgruppe fand sich entsprechend eine verstärkte metabolische Azidose [7]. Balancierte, basenhaltige Elektrolytlösungen erscheinen vorteilhaft, der im klinischen Alltag gängigste Vertreter ist Ringer-Laktat. Bernard et al. stellten eine signifikante Abnahme der Azidose unter der Infusion von 30 ml/kg Ringer-Laktat fest [2]. Herr Prof. Zander bemerkt, dass es sich bei Ringer-Laktat (wie auch bei Ringer-Azetat) um hypotone Lösungen handelt. Infolge einer Senkung der Plasmaosmolalität sollte daher theoretisch ein geringfügiger Anstieg des intrakraniellen Drucks zu erwarten sein (ca. 6 mmHg). Da Patienten nach Herz-Kreislauf-Stillstand (ohne gleichzeitiges Schädel-Hirn-Trauma) in der Regel keine erhöhten Hirndruckwerte aufweisen, ist die Relevanz eines derart milden Anstiegs des intrakraniellen Drucks jedoch fraglich. Besonders wichtig ist jedoch, dass die milde therapeutische Hypothermie per se äußerst effektiv den intrakraniellen Druck senkt [9], so dass in der Summe ganz klar eher eine Reduktion des intrakraniellen Drucks zu erwarten ist.
Wir stimmen Herrn Prof. Zander zu, dass das therapeutische Optimum eine Infusionslösung darstellen sollte, „die isoton und weitestgehend isoionisch ist und den Säure-Basen-Status des Patienten möglichst nicht alteriert“. Wie unter Beurteilung derzeitiger Infusionslösungen dargelegt, existiert dieses Ideal bisher jedoch kaum. Keine kommerziell erhältliche Infusionslösung kann alle Forderungen vollständig erfüllen. In der täglichen Praxis sind zudem andere Produkte als die gängigen Standards häufig schlicht nicht verfügbar. - Herr Prof. Zander bemerkt, dass die Infusion von großen Mengen Laktat die Beurteilung des entsprechenden Laborparameters verunmögliche. Dies ist sicher korrekt, in der Praxis aber nicht von Bedeutung. Die Prognosestellung von Patienten nach Herz-Kreislauf-Stillstand ist per se schwierig und beruht auf vielen Parametern, von denen die Serumlaktatkonzentrationen keinen darstellt [4]. Die Verfälschung eben dieses Wertes kann daher kein Argument sein, eine wirksame Therapie vorzuenthalten. In der von uns zitierten Studie von Hachimi-Idrissi et al. [6] wurde die Serumlaktatkonzentration lediglich als Surrogatparameter für die Effektivität der therapeutischen milden Hypothermie in einem Patientenkollektiv mit extrem schlechter Prognose (initialer Rhythmus Asystolie oder pulslose elektrische Aktivität) herangezogen. Zudem wurde die Hypothermie hier nicht durch Infusion großer Flüssigkeitsmengen induziert, sondern durch Oberflächenkühlung.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Infusion großer Flüssigkeitsmengen zur Hypothermieinduktion ein vielversprechendes Verfahren darstellt. Kontrollierte klinische Studien zum direkten Vergleich mit anderen Kühlverfahren (Oberflächenkühlung, endovaskuläre Kühlkatheter) stehen bisher noch aus. Trotzdem empfehlen wir diese Methode – auch dann, wenn als Infusionslösung lediglich Ringer-Laktat zur Verfügung steht. Die Art der Infusion erscheint uns deutlich nachrangig, das Wichtige und für die betroffenen Menschen Entscheidende ist die frühzeitige Einleitung der Kühlung.