Mortalität der Sepsis

Hintergrund

Ausgelöst durch eine aktuelle Publikation zur Sepsis-Mortalität in den Skandinavischen Ländern mit einer 30Tage-Mortalität von 36,5 % bzw. 39,6 % (Perner et al. 2012) wird die Frage untersucht, welche Mortalität international und national heute zu erwarten ist.

Beim Versuch, derartige Angaben aus dem BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) als Förderer des SepNet zu erhalten, stößt man auf eine Pressemitteilung aus dem Jahre 2008: „In Deutschland erkranken jährlich circa 150.000 Menschen an Sepsis, die Hälfte stirbt an der Krankheit.“ Also eine Mortalität von 50 %, aber zeitgleich mit Veröffentlichung der BMBF-geförderten VISEP-Studie mit nur 24 % Mortalität?

Und damit verbreitet das BMBF die Zahl von 75.000 Sepsis-Toten pro Jahr, eine Zahl, die vom Statistischen Bundesamt nicht bestätigt wird: Dort sterben jährlich zwischen 5.622 (2000) und 7.943 (2010) Sepsis-Patienten.

Und um das Problem der Sepsis im Sinne des SepNet richtig einzuordnen, verbreitet das BMBF die Meldung „… Sepsis die dritthäufigste Todesursache in Deutschland.“, wieder eine Zahl, die vom Statistischen Bundesamt nicht bestätigt wird: Dort rangiert die Sepsis-Mortalität seit 10 Jahren auf Platz 32 (2000) bis 26 (2010).

Offenbar sollte auf diese Weise nach Förderung des SepNet mit 2,5 Mio EUR in den Jahren 2002 bis 2007 die weitere Förderung mit 1,1 Mio EUR im Zeitraum 2007 bis 2010 legitimiert werden.

Fragestellung

Mit welcher Sepsis-Mortalität ist heute in Deutschland tatsächlich zu rechnen?

Datenauswahl und Ergebnisse

Beginnend mit dem Jahr 1998 wurden aus entsprechenden Publikationen (Auswahl vermutlich unvollständig) die jeweils optimalen, d.h. niedrigsten Mortalitäts-Werte gesammelt, die von den Autoren im Vergleich zu anderen diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen ermittelt wurden. Dabei wurde die Krankenhaus- (○) bzw. 28 / 30Tage Mortalität (□) verwendet.

Im Einzelnen (Erstautor und Jahr der Publikation) wurden, nach dem Untersuchungszeitraum aufsteigend, berücksichtigt:
Rivers 2001 (EGDT vs. Standard-Therapie), Wafaisade 2011 (Sepsis bei Trauma-Patienten), Nguyen 2010 (frühe Laktat-Clearance vs. ohne), Nguyen 2004 (Laktat-Clearance vs. ohne), Levraut 2003 (Exogene Laktat-Clearance vs. ohne, Untersuchungszeitraum abgeschätzt), Wafaisade 2011 (Sepsis bei Trauma-Patienten), Brunkhorst 2008 (VISEP, Kristalloid vs. Kolloid), Nguyen 2007 (Therapie-Bundle vs. ohne), Arnold 2009 (Laktat-Clearance  vs. ohne), Bayer 2011 ▲ (Gelatine vs. HES vs. Kristalloid), Wafaisade 2011 (Sepsis bei Trauma-Patienten), Gründling 2009 ● (Greifswalder Modell, KH-Mortalität angenommen), Jones 2010 (Laktat-Clearance vs. ohne), Gründling 2009 ● (Greifswalder Modell, KH-Mortalität angenommen),  Brunkhorst 2012 (28Tage-Mortalität, Mono- vs. Kombinations-Therapie Antibiotika), Gründling 2009 ● (Greifswalder Modell, KH-Mortalität angenommen),  Perner 2012 ■ (30Tage-Mortalität, Kristalloid vs. Kolloid), Bayer 2012 ▲ (KH-Mortalität, HES vs. Gelatine vs. Kristalloid).

Die folgende Abbildung fasst alle Daten zusammen. 

Entwicklung der Mortalität der Sepsis (%) über die Jahre 1998 (Ende) bis 2010 (Ende), dargestellt über dem jeweiligen Mittelwert des Untersuchungszeitraumes, die offenen Symbole kennzeichnen die etwas günstigere Krankenhaus-Mortalität ○ bzw. die 28 / 30Tage Mortalität □.

Diskussion

Folgende Besonderheiten fallen auf:

  • Die Mortalität der Sepsis nimmt über die Jahre ab, sie liegt seit 2005 bei ca. 20 %, nur geringfügig übertroffen von den deutschen Multicenter-Studien (Brunkhorst et al. 2008 und 2012) mit 24 % (2004,4) bzw. 22 % (2009,1) (□).
  • Die für Jena vorliegenden Mortalitätsdaten betragen 31 und 42 % (▲), dort schneiden Studien mit Gelatine (Bayer 2011) und HES (Bayer 2012) am besten ab.
  • Selbst unter Einsatz des so genannten Greifswalder Modells konnte die Mortalität dort nach 57 % (2006 bis Ende 2007) und 43 % (2008) nur auf 31 % im ersten Halbjahr 2009 gesenkt werden (●), obwohl der Initiator dieses Modells zuvor von 2003 bis 2005 an der VISEP-Studie (Mortalität 24 %) teilgenommen hatte. Siehe dazu die Meldung vom 09.12.2009.
    Auch an der Nachfolge-Studie von 2007 - 2010 mit einer Mortalität von 22 % hatte der Initiator teilgenommen. Siehe dazu die Meldung vom 31.05.2012.
    Dieses Modell mit derzeit 35 % Mortalität soll „nun auch Schule in ganz Mecklenburg-Vorpommern machen“.
  • Die neueste Studie aus den Skandinavischen Ländern zeigt eine erschreckend hohe Mortalität von 37 % (■), neben der katastrophalen Dokumentation ein weiteres Argument, die Daten dieser Studie zu verwerfen, wie hier nachzulesen ist.
  • Die möglichst frühe Laktat-Clearance wird in den USA im Gegensatz zu Deutschland und Skandinavien offensichtlich erfolgreich zur Senkung der Mortalität eingesetzt, wie hier nachzulesen ist.

Literatur

Arnold RC, Shapiro NI, Jones AE et al.: Multicenter study of early lactate clearance as a determinant of survival in patients with presumed sepsis. Shock 2009; 32: 35-39

Bayer O, Reinhart K, Sakr Y et al.: Renal effects of kolloids and crystalloids in patients with severe sepsis: A prospective sequential comparison. Crit Care Med 2011; 39: 1335-1342

Bayer O, Reinhart K, Kohl M et al.: Effects of fluid resuscitation with synthetic colloids or crystalloids alone on shock reversal, fluid balance, and patient outcomes in patients with severe sepsis: A prospective sequential analysis. Crit Care Med 2012; 40: 2543-2551

Brunkhorst FM, Engel C, Bloos F et al.: Intensive insulin therapy and pentastarch resuscitation in severe sepsis. N Engl J Med 2008; 358: 125-139   

Brunkhorst FM, Oppert M, Marx G et al.: Effect of empirical treatment with moxifloxacin and meropenem vs meropenem on sepsis-related organ dysfunction in patients with severe sepsis: a randomized trial. JAMA 2012; 307: 2390-2399

Gründling M: Pressemitteilung 2009 und 2012

Jones AE, Shapiro NI, Trzeciak S et al.: Lactate clearance vs central venous oxygen saturation as goals of early sepsis therapy: A randomized clinical trial. JAMA 2010; 303: 739-746

Levraut J, Ichai C, Petit I et al.: Low exogenous lactate clearance as an early predictor of mortality in normolactemic critically ill septic patients. Crit Care Med 2003; 31: 705-710

Nguyen HB, Rivers EP, Knoblich BP et al.: Early lactate clearance is associated with improved outcome in severe sepsis and septic shock. Crit Care Med 2004; 32: 1637-1642

Nguyen BH, Corbett SW, Steele R et al.: Implementation of a bundle of quality indicators for the early management of severe sepsis and septic shock is associated with decreased mortality. Crit Care Med 2007; 35: 1105-1112

Nguyen BH, Loomba M, Yang JJ et al.: Early lactate clearance is associated with biomarkers of inflammation, coagulation, apoptosis, organ dysfunction and mortality in severe sepsis and septic shock. J Inflamm 2010; 7: 6

Perner A, Haase N, Guttormsen AB et al: Hydroxyethyl starch 130/0.4 versus Ringer´s acetate in severe sepsis. N Engl J Med 2012; 367: 124-134

Rivers E, Nguyen B, Havstad S et al.: Early goal-directed therapy in the treatment of severe sepsis and septic shock. N Engl J Med 2001; 345: 1368-1377   

Wafaisade A, Lefering R, Bouillon B et al.: Epidemiology and risk factors of sepsis after multiple trauma: an analysis of 29,829 patients from the Trauma Registry of the German Society for Trauma Surgery. Crit Care Med 2011; 39: 621-628