Kommentar zu einer aktuellen Arbeit von Schneck et al. [2].
Grundsätzlich erfolgt die Diagnostik derjenigen Messwerte, die sich während der Lungenpassage des Blutes verändern, im arteriellen Blut, um auf diese Weise die Versorgung aller Organe zu beurteilen. Dies gilt für den Sauerstoff- (pO2, sO2) und den Säure-Basen-Status (pCO2, pH). Eine Diagnostik im venösen Blut der Organe ist deshalb wenig hilfreich, weil diese von Organ zu Organ, je nach Durchblutung und Metabolismus des Organs (O2-Verbrauch, CO2-Produktion) sehr unterschiedlich ausfällt. Als Ausnahme von dieser „Regel“ können die NIRS (Near Infrared Spectroskopy) des Gehirns oder die AiDCO2 (alveolo-inramukosale CO2-Partialdruck-Differenz) betrachtet werden, wenn ein typisches Organ (Gehirn, Magenmukosa) als repräsentativ für den Gesamt-Organismus betrachtet werden soll.
Alle Messwerte, die sich während der Lungenpassage nicht verändern können, dürfen natürlich auch aus dem venösen Blut bestimmt werden, zum Beispiel die Elektrolyt-Konzentrationen.
Dies gilt auch für den Base Excess (BE, mmol/l), der sich ja während der Lungenpassage nicht verändern kann, auch wenn sich die Messwerte, die für seine Berechnung eingesetzt werden (pCO2, sO2 und pH), deutlich ändern: BE vor der Lunge = nach der Lunge. Wird die richtige Berechnungsformel dazu verwendet, wie unter Korrekte Berechnung des BE beschrieben, gelingt dies nachweislich.
Die Autoren beschreiben zu dieser Thematik das so genannte Gitelman-Syndrom, das aus dem Symptomenkomplex Hypomagnesiämie, Hypokaliämie, Hypokalzurie und metabolische Alkalose bestehen soll. Sie stellen dazu einen Patienten vor, der seit vielen Jahren mit einer patientengesteuerten Magnesiumpumpe versorgt wird. Seine Daten des Säure-Basen- und Elektrolytstatus – aus dem venösen Blut – sind in einer Tabelle dargestellt, die hier wiedergegeben und kommentiert wird, und zwar in der Reihenfolge venöses Blut, metabolische Alkalose, Hypokalzurie, Hypokaliämie und Hypomagnesiämie.
Typische Messwerte des Blutes aus der Cubitalvene sind ein pO2 von ca. 25 - 30 mmHg mit einer zugehörigen sO2 von ca. 50 % (Korrekte Berechnung des BE), der pCO2 beträgt ca. 50 mmHg und der zugehörige pH dann ca. 7,35.
Um 9.56 Uhr dürfte eine typische venöse Blutprobe untersucht worden sein, allerdings mit einem auffallend hohen pCO2 von 81,7 mmHg, vielleicht aus einem lange gestauten Arm entnommen. Der pO2 von 51,6 mmHg passt allerdings nicht zu einer sO2 von 45,3 %, wie an der Kombination von 11.22 Uhr am 3. postoperativen Tag zu sehen ist (51,3 mmHg ergibt eine realistische sO2 von 84 %).
Von zwei Ausnahmen abgesehen sind die Werte des pCO2 unrealistisch niedrig, sie können nicht unter dem arteriellen Normalwert von 40 mmHg liegen, es sei denn, der Patient sei sehr stark hyperventiliert worden (paCO2 ca. 25 mmHg).
Die Werte des pO2 mit 72,0 bzw. 89,0 mmHg sind unrealistisch hoch, es sei denn der Patient sei über die ganze Zeit mit einer FIO2 von angenähert 1,0 beatmet worden (paO2 500 - 650 mmHg).
In der ganzen Arbeit findet sich kein Hinweis auf die angeblich typische metabolische Alkalose, allerdings ergibt der aus pH 7,344 und pCO2 81,7 mmHg ermittelte BE nicht -1,1 sondern +12,0 mmol/l, also eine sehr deutliche metabolische Alkalose.
Angaben über die Kalzium-Konzentration im Urin fehlen, bei den Konzentrationen im Blut kann man nur spekulieren, dass es sich um die Konzentrationen des ionisierten Kalziums handelt, üblicherweise mit Ca2+ bezeichnet. Dann allerdings wäre der Ausgangswert mit 1,8 mmol/l sehr hoch.
Zeichen einer Hypokaliämie fehlen gänzlich, vielleicht auf die sporadische orale Gabe von Kalinor-Brause-Tabletten zurückzuführen.
Auch hier wird unterstellt, dass es sich bei den Angaben um das ionisierte Magnesium im Plasma handelt (nicht Blut), üblicherweise mit Mg2+ bezeichnet.
Eine Diagnostik des Säure-Basen (pH, pCO2) sowie O2-Status (pO2, sO2) aus dem peripher-venösen Blut, also vor der Lunge, ergibt keinen Sinn. Die Angaben der Autoren zum Säure-Basen- und Elektrolyt-Status dieses Patienten sind unphysiologisch und daher als „Lehrbeispiel zur Physiologie und Pathophysiologie des Elektrolythaushalts“ vollkommen ungeeignet.
Für eine Kooperation an dieser Stelle waren die Autoren leider nicht zu gewinnen, der korrespondierende Autor (C. Lichtenstern): Wir sind gerne bereit auf Ihren Kommentar im "Anaesthesisten" zu antworten.