Störungen des Elektrolyt- plus Säure-Basen-Status, die speziell in München als iatrogene Störungen auftreten und dort als Besonderheiten des Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushaltes diagnostiziert werden.
Den aktuellen Anlass für diesen Beitrag liefert eine Publikation [3], die im Zusammenhang mit früheren Veröffentlichungen aus der gleichen Klinik kommentiert werden soll. Leider war der korrespondierende Autor, Leiter der betreffenden Intensivstation, auf entsprechende Anfrage (Januar 2010) nicht bereit, "den entsprechenden Arbeitsaufwand für die hier angestrebte Diskussion … in Kauf zu nehmen … weil das therapeutische Regime … einer einzelnen Person oder Station öffentlich zu diskutieren weder wissenschaftliche Fortschritte noch Verbesserungen bei der Patientenversorgung bringt". Im Folgenden werden die Diagnostik sowie die möglichen Ursachen von Störungen des Elektrolyt- (Elyte) plus Säure-Basen- (SB) Status diskutiert.
Prinzipiell gibt es folgende Möglichkeiten von Kombinationen für Elyte- und SB-Störungen:
Azidosen und Alkalosen, die hypo- und hyperchlorämisch und/oder hypo- und hypernatriämisch auftreten können (richtig wäre eigentlich die Bezeichnung -chloridämisch, die sich aber nicht durchgesetzt hat).
Die Annahme, dass eine Kausalität zwischen der Chlorid- bzw. der Natrium-Konzentration einerseits und einer Azidose oder Alkalose andererseits bestehen würde, wie von den Anhängern des Stewart-Konzeptes gefordert, kann bis heute nicht belegt werden. Prinzipiell aber lassen unphysiologische Lösungen zur Infusion oder enteralen Ernährung jede Kombination von Entgleisungen des Elyte-Status und denen des SB-Status zu. Dies soll im Folgenden demonstriert werden.
Die Bezeichnung suggeriert, dass die Azidose die Folge einer Hyperchlorämie wäre, was nicht zutrifft, wie seit Jahrzehnten bekannt.
Zitat aus (Nebenwirkungen von Infusionslösungen): Infusionslösungen ohne die physiologische Pufferbase Bikarbonat erzeugen beim Patienten eine so genannte Verdünnungs- oder Dilutions-Azidose, da mit der Infusion einer derartigen Lösung die HCO3--Konzentration des gesamten EZR verdünnt, also vermindert wird. Prinzipiell macht es nämlich bei der Azidose-Entstehung keinen Unterschied, ob die HCO3--Konzentration des Extrazellularraumes infolge Pufferung abnimmt (Beispiel Milchsäure-Azidose), oder HCO3- verloren geht (Beispiel Diarrhöe).
Die Dilutions-Azidose wurde erstmals in vivo qualitativ von Shires und Holman [1948] beschrieben: Eine Infusion einer 0,9 % NaCl-Lösung führte zu einer Abnahme des arteriellen pH auf 7,20. Asano et al. [1966] haben diese Versuche quantifiziert, indem sie 0,9 % NaCl-, 5 % Glucose- oder 5 % Mannitol-Lösung infundierten. Auch hier konnte der deutliche pH-Abfall bis auf Werte zwischen 7,15 und 7,25 im Sinne einer nicht-respiratorischen Azidose belegt werden. Damit war bewiesen, dass diese Azidose auch ohne Chloridzufuhr auftritt [angegebene Literatur dort].
Im Stewart-Modell spielt die hyperchlorämische Azidose eine entscheidende Rolle, weshalb sie von den Anhängern dieses Modells immer wieder ins Feld geführt wird. So wird aus München 2005 [1] intraoperativ eine Dilution des ECFV um 35 % in knapp 2 h (5,7 l einer 0,9 % NaCl, Urin 0,8 l, KG 71 kg, ECFV 14,2 l) vorgenommen.
Damit vermindert sich die Bikarbonat-Konzentration entsprechend von 24 auf 17,8 mmol/l (14,2 x 24 = 19,1 x 17,8). Gemessen wurde eine HCO3--Konzentration von 18,1 mmol/l, also eine sehr gute Übereinstimmung zwischen Vorhersage und Messung.
Die gleiche Bilanz kann für Chlorid vorgenommen werden: Die normale Ausgangs-Konzentration von 103 mmol/l (angenommen) erhöht sich auf 116 mmol/l [(14,2 x 103) + (4,9 x 154) = 19,1 x 116,1)]. Die gemessene Konzentration betrug 117 mmol/l [1], wieder eine sehr gute Übereinstimmung zwischen Vorhersage und Messung. Hier wird somit eine klassische Dilutions-Azidose mit einem BE von - 8,5 mmol/l vorgestellt, in diesem Falle hyperchlorämisch, weil diese mit einer hyperchlorämischen Lösung verursacht wurde. In der Abb. Iatrogene Alkalosen / Azidosen (s. u.) wird diese Störung dargestellt.
Wird die Dilution des ECFV mit einer chloridfreien Lösung vorgenommen, kann die Dilutions-Azidose auch als hypochlorämische Azidose imponieren.
Dies kann als so genanntes TUR-Syndrom bei der transurethralen Resektion der Prostata auftreten, wenn die chloridfreie Spüllösung irrtümlich in die Blutbahn gelangt. Als schwere hyponatriämische, hypochlorämische Azidose wird sie mittlerweile auch unter der operativen Hysteroskopie beobachtet und als bedrohlicher Zwischenfall beschrieben [4]. Da die Spüllösung (Sorbitol-Mannit-Lösung, Purisole SM, Fresenius Kabi) weder Natrium noch Chlorid enthält, kommt es zur Verdünnung der beiden Elektrolyte sowie der HCO3--Konzentration.
In der Abb. Iatrogene Alkalosen / Azidosen (s. u.) wird diese Störung dargestellt, der erste Wert mit einem BE von - 6,8 mmol/l bei einer Chloridkonzentration von 80 mmol/l normalisiert sich langsam innerhalb von 4 h nach Abbruch der OP.
Eine solche Alkalose zu erzeugen, erfordert größere Volumina von hypochlorämischen Lösungen mit einem alkalisierenden BEpot, also Lösungen, die eine erhöhte Konzentration von metabolisierbaren Anionen enthalten. Auch dieser Fall wird 2008 aus München berichtet [2]: Im Verlauf eines Intensivaufenthaltes entwickelt ein Patient einen BE von + 10,5 mmol/l bei einer Chlorid-Konzentration von 95 mmol/l mit leicht verminderter Natrium-Konzentration von 136 mmol/l. Diese Hypochlorämie und -natriämie wird hier nicht weiter kommentiert.
Natürlich kann man versuchen, auch die Natrium-Konzentration für die Entstehung einer Alkalose verantwortlich zu machen, wie dies nach dem Stewart-Konzept zu fordern wäre. Wieder aus München wird über eine hypernatriämische Alkalose berichtet [3], sie soll nach dem Stewart-Konzept das "Pendant zur hyperchlorämischen Azidose" sein, wie schon im Titel der Arbeit erwähnt. Dieser Diktion muss sich die ganze Arbeit unterordnen. Die erhobenen Befunde (20 von 201 überprüften Patienten) sind in der Abb. Hypernatriämische Alkalose dargestellt [aus Abb. 1 aus 3].
Es bedarf sehr großer Fantasie, der Diagnostik der Autoren zu folgen: Eine Kausalität zwischen Natrium-Konzentration und BE ist nicht gegeben, was jeden Stewart-Anhänger enttäuschen muss ("Dieser offensichtliche Widerspruch ist nach Wissen der Autoren in der Literatur bisher nicht beschrieben"). Also muss eine neue Strategie gefunden werden, dazu wurden von den Autoren für die weitere Diskussion 10 Messwerte ausgewählt, hier mit rot markiert (in der Arbeit wird diesen eine gesonderte Abb. 2 gewidmet).
Die neue Strategie findet sich in der Abb. Hypo- / hyperchlorämische Alkalose [aus Abb. 3 aus 3]: Von den über 70 Messwerten wurden 10 (rot markiert) ausgewählt, die als normochlorämisch deklariert werden, weil ihre Chlorid-Konzentration "im Normwertbereich (95 - 109 mmol/l)" liegt. Für diese wird - gemäß Stewart - ausgeführt, "dass eine Hypernatriämie per se eine Alkalose hervorrufen kann, dies aber normale [Cl-] (gemeint ist die cCl-) erfordert". Jetzt ist Stewart mit 10 Messwerten aus einem Kollektiv von über 70 doch noch gerettet und wird schon im Titel der Arbeit erwähnt. Dass die Abbildung aber zusätzlich hyperchlorämische Alkalosen und auch hyperchlorämische Azidosen zeigt, wird nicht kommentiert.
Wie eingangs betont, besteht offensichtlich die Möglichkeit, jede Alkalose oder Azidose mit einer Hypo-oder Hyperchlorämie zu kombinieren.
Dies ist in der Abb. Iatrogene Alkalosen / Azidosen dargestellt: In München werden iatrogene hyperchlorämische Azidosen erzeugt [◊ 1], auch hypochlorämische Alkalosen [□ 2] und schließlich hypo- und hyperchlorämische Alkalosen sowie Azidosen [ο 3]; nur die hypochlorämischen Azidosen stammen nicht von dort [Δ 4].
Offensichtlich nehmen die Störungen des Elyte-Status einen breiten Raum ein, ihre Ursachen scheinen aber in München kein großes Interesse zu finden.
Die hier verwendete Ringerlösung würde einen linearen Anstieg von Cl- und Na-Konzentration erzeugen, dazu wären aber große Volumina notwendig. Eine Zufuhr von 10 l ist mit einem Stern gekennzeichnet. Ein ähnliches Verhalten würde sich für eine Zufuhr von 0,9 % NaCl ergeben. Bei einer hyperosmolalen Dehydratation (Verlust von Wasser) hingegen, es wurden hohe Dosen von Diuretika eingesetzt (Furosemid), genügen schon kleine Volumenverluste (Stern bei 2 l), um eine deutliche Entgleisung zu erzeugen. Dies aber nur so lange, bis kein osmotischer Ausgleich zwischen Extrazellularraum (ECFV) und Gesamtkörperwasser (TBFV) erfolgt ist. Nach einem solchen Ausgleich wäre die Störung deutlich geringer ausgeprägt, der Volumenverlust würde im ECFV nur noch die Hälfte des TBFV betragen (also 0,67 l). Damit wäre die Hyperosmolalität von 335 auf 304 statt normal 290 mosmol/kg H2O gesenkt worden.
Es fällt auf, dass die Messwerte vornehmlich zwischen diesen Geraden zu liegen kommen, was natürlich noch kein Beweis für die Richtigkeit der Spekulation sein kann. Da das publizierte Infusionsregime dieser Patienten, vorsichtig formuliert, atypisch ist, könnte dies die folgende Spekulation begründen: Täglich wurden 0,69 l Ringerlösung, 0,88 l einer 0,45 %igen NaCl-Lösung, 0,1 l hyperchlorämisches HES und 0,58 l einer 5 %igen Glukose-Lösung (Gesamtvolumen 2,25 l) infundiert (morgens Ringer, abends Glukose?). Abgesehen von der "sparsamen" Volumenzufuhr in Verbindung mit der Gabe von Diuretika (55 % der Patienten), darf man unterstellen, dass weitere mindestens 1,5 l mit einer enterale Ernährung zugeführt wurden.
Dies alles zusammen erklärt aber keine Hyperchlorämie plus Hypernatriämie, es sei denn, größere Mengen eines hypotonen Harns wären ausgeschieden worden, eine entsprechende Mitteilung fehlt aber in der Arbeit.
Aus diesem Grunde bedarf es weiterer Untersuchungen, z. B. bezüglich der Zusammensetzung enteraler Lösungen, die diese Kombination erklären könnte, nämlich Konzentrierung von HCO3- (Alkalose), Chlorid (Hyperchlorämie) und Natrium (Hypernatriämie). Eigentlich kommt diese Kombination nur bei der hyperosmolalen Dehydratation vor, Angaben über die berechnete Osmolarität (Blutgas-Analysator) oder die gemessene Osmolalität (GPE) liegen leider nicht vor.
Ende 2009 sollte der Einsatz von Ringerlösung mit der Folge einer Hyperchlorämie und kosekutiver Abnahme der Diurese eigentlich überholt sein, weil diese Therapie ein Diuretikum und die Gabe von 0,45 %iger NaCl und 5 %iger Glukose-Lösung zur Korrektur von Hyperchlorämie und Hypernatriämie erforderlich macht. Heute ist sicher, dass ein Großteil dieser Entgleisungen des Elyte- und SB-Haushalts vermeidbar wäre, wenn konsequent nur balancierte, also physiologisch zusammengesetzte Lösungen verwendet würden. Es trifft nicht zu, dass diese balancierten Lösungen "vermutlich in Kürze "state of the art" in der Volumentherapie sein werden" [3], nein, sie sind es bereits seit einigen Jahren in Deutschland und Europa, in der Flüssigkeits- (hier beschrieben) und der Volumentherapie.
Daher kann diese Diskussion - hoffentlich - doch noch zu "Verbesserungen bei der Patientenversorgung" beitragen.