Nach der Erstbeschreibung 1995 [4] hat es einige Jahre gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die korrekte Berechnung des Base Excess des Blutes (BE, mmol/l) deutliche Vorteile besitzt: Da nicht nur die Werte pH, pCO2 und cHb, sondern auch die O2-Sättigung in die Berechnung mit eingeht, war klar, dass der BE aus jeder Blutprobe richtig berechnet werden kann, arteriell oder venös, unabhängig von der O2-Sättigung derselben.
Mit anderen Worten: Natürlich muss der BE als metabolische Größe vor der Lunge und nach der Lunge gleich sein. Zusätzlich wurde dann später belegt, dass diese Art der BE-Berechnung allen anderen publizierten Formeln überlegen ist [1], die Genauigkeit kann dann mit 1 mmol/l angegeben werden.
Für die tägliche klinische Praxis ergibt diese Art der BE-Berechnung den Vorteil, dass dieser auch aus venösem Blut, z. B. der Cubitalvene, bestimmt werden kann. Derartige Versuche sind publiziert [6]: Der BE von 50 Normalpersonen beträgt demnach erwartungsgemäß 0 mmol/l (genau - 0,1 mmol/l) mit einer erstaunlich geringen Streuung von nur 1 mmol/l, obwohl die Messwerte mit pH 7,352 und pCO2 51,2 mmHg sowie der sO2 mit nur ca. 50 % deutlich von den bekannten Normalwerten des arteriellen Blutes abweichen.
Ein weiterer, sehr deutlicher Vorteil ergibt sich für die Neonatologie, weil hier die O2-Sättigung der Blutproben bis auf beinahe 0 % abfallen kann. Die Wirkung kann man unter Laborbedingungen wie folgt demonstrieren [2]: Simulation zweier Frischblutproben „Nabelarterie“ mit den typischen, physiologischen Vorgaben, d. h. Äquilibrierung auf pCO2 55 mmHg und pO2 15 mmHg bei cHb 16 g/dl sowie pathologischen BE-Werten von -15 und -20 mmol/l, durch Titration vorgegeben. Die erhobenen Messwerte (Roche Diagnostics OMNI 9) sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt:
Schlussfolgerung: Die Vorgaben des BE werden mit ausreichender Genauigkeit ermittelt, sofern der richtige „BEkorr“ berechnet wird. Erfolgt dies nicht, wird der BE „geschönt“.
Zum gleichen Ergebnis kann man kommen, wenn man die unterschiedlichen Verfahren zur Berechnung des BE auf eine große Datei von Geburtsprotokollen anwendet [3]. Die Fragestellung war hier unter anderem, ob sich wie beim Sportler (s. u.) eine einfache Proportionalität zwischen dem Base Excess des Blutes und der Laktat-Konzentration des Plasmas nachweisen lässt (Roche Diagnostics OMNI 9). Die insgesamt 278 Mess- (Laktat) bzw. Rechen-Werte (BE) von gesunden Neugeborenen sind in den beiden folgenden Abbildungen wiedergegeben, getrennt für die Nabelvene (O2-reiches Blut von der Mutter zum Feten) und die Nabelarterie (O2-armes Blut vom Feten zur Mutter).
Es ist offensichtlich, dass für das O2-arme Blut (blau) der Nabelarterie die Unterschiede zwischen falschem BE (BEalt) und korrektem BE (BEkorr) erwartungsgemäß besonders groß ausfallen. Nur für den korrekten BE wird eine gute Proportionalität zwischen BE und cLac gefunden (BEkorr = 0,02 – 0,96 cLac). Es ist auch deutlich zu erkennen, wie der negative BE und die cLac bei der Passage durch den Feten (Nabelvene → Nabelarterie) im Zahlenwert zunimmt (im Bild von links oben nach rechts unten).
Wie schon erwähnt konnte auch bei Sportlern (n = 17) unter Belastung (und Erholung) eine einfache Proportionalität zwischen der BE-Änderung im venösen Blut (!), als ∆BEkorr richtig ermittelt, und der Konzentrations-Änderung des Laktats (∆cLac) im venösen Plasma (!) demonstriert werden [5], wie die folgende Abbildung zeigt (n = 142).
Leider hat ein zwischen vielen Herstellerfirmen vereinbarter Consensus des Jahres 2005 [2] nicht die erwartete Vereinheitlichung der Symbole erbracht, soll heißen, welchen Wert soll der Arzt am POC-Gerät einstellen bzw. anwählen, um den richtigen BE (BEkorr) zu erhalten.
Eine aktuelle Umfrage zum Jahreswechsel 2011/2012 bei den angesprochenen Firmen hat folgendes Ergebnis erbracht:
Die Firmen Abbott, Alere, Eschweiler, Instrumentation Laboratory, Nova Biomedical und Siemens (Bayer) antworten nicht (Kommentar RZ: Es ist zu befürchten, dass die Firmen die Problematik nicht verstehen und beim Kunden nicht vertreten).
Da IL seinerzeit den Consensus [2] ausdrücklich akzeptiert hat, wird unterstellt, dass der Arzt beim GEM Premier 4000 das Symbol BE(B) gemäß IL-Homepage wählen muss, um den richtigen BE zu erhalten.
Radiometer
Alle Radiometer Analysatoren ab 1998 haben den BE mit Berücksichtigung der sO2 integriert, d. h. die Geräte der ABL700-, ABL800-, ABL80- und ABL90-Serie drucken den richtigen BE als cBase(B,ox) aus (Kommentar RZ: Wie reagiert wohl ein Arzt, wenn er nachts am Gerät den BE sucht).
Roche Diagnostics
Alle seit 1996 verwendeten Software-Versionen enthalten den Namen BEact, wobei der Begriff „act“ für die aktuelle Sauerstoffsättigung steht. Danach hat der Benutzer die Möglichkeit sowohl BE (ohne O2sat), wenn der Kunde dies im Setup einstellt, als auch BEact anzuzeigen und auszudrucken (Kommentar RZ: Welcher Arzt könnte am falschen BE interessiert sein).
Beim Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin und Notfallmedizin (DIVI) wurde zweimal (Hamburg 2010, Leipzig 2011) eine Fortbildung zum Säure-Basen-Haushalt angeboten, zweimal wurde dabei der Base Excess entweder negiert („können Sie vergessen“) oder ignoriert, und das zugunsten der untauglichen aktuellen Bikarbonat-Konzentration des Plasmas (s. Säure-Basen-Haushalt » Diagnostik).
Daher scheint es dringend erforderlich, auf wenigstens zwei deutsche Publikationen zu diesem Thema aufmerksam zu machen:
Schaffartzik W: "Base excess" Anaesthesist 2007; 56: 478 – 481
Zander R: Der Base-Excess als universelle diagnostische und therapeutische Größe (Brief), Deutsches Ärzteblatt 2006; 17: A1154