Flüssigkeitstherapie: Was, wann und wie viel?

Es ist erfreulich, dass alle drei deutschsprachigen Anästhesiologie-Zeitschriften fast zeitgleich (April - Juni 2006) das Thema „Perioperatives Flüssigkeitsmanagement“, „Volumenersatztherapie“ und „Flüssigkeitsmanagement“ aufgreifen. Frustrierend ist,

dass die entscheidende Frage, nämlich das Was, neben dem Wann und Wie viel kaum behandelt wird. Um das Fazit vorwegzunehmen: Es ergibt keinen Sinn,

  • das Wann und Wie viel zu behandeln
  • ohne primär über das Was entschieden zu haben.

Man stelle sich vor, der Arzt rät seinem Patienten täglich 2 - 3 Liter zu trinken, verweist ihn aber an einen Kollegen, wenn der Patient wissen möchte, ob Wasser, Milch, Bier oder Wein getrunken werden soll.

  •  „Die Selbstverständlichkeit des ärztlichen Alltags, der sorgfältigen Auswahl von Art und Menge verschiedener Präparate einen sehr hohen Stellenwert einzuräumen“ [3], wird im eigentlichen Beitrag negiert, weil dort „die Flüssigkeiten unabhängig von der Beschaffenheit, nur bezüglich der Menge miteinander verglichen werden“ [7]. Wenn man sich nur auf die Menge der perioperativ infundierten Flüssigkeit beschränken will [7], dann sollte man aber doch über die beiden wichtigsten süddeutschen Rekorde berichten:
    1. Intraoperativ werden 40 ml/kg KG/h, nämlich in 2 h insgesamt 5,7 l einer 0,9 % NaCl-Lösung infundiert (KG 72 kg) [1], mit dem Ergebnis einer deutlichen Verdünnungs-Azidose mit einer iatrogenen BE-Abnahme von 8,5 mmol/l (von den Autoren nicht mitgeteilt) und einer zu erwartenden Hyperchlorämie im Extrazellularraum von 116 mmol/l (gemessenen 117 mmol/l).
      Ein intraoperativer Rekord, Kommentar dazu: Wenn ein geschätzter Blutverlust von 706 ml innerhalb von 2 Stunden [1] „mit Flüssigkeit ohne jede kolloidosmotische Kraft ersetzt wird, ist dies als völlig inadäquat zu bezeichnen“ [3].
    2. Verbrennungspatienten mit einer verbrannten Körperoberfläche von 46 % erhalten in 24 h bis zu 50 l Ringer-Laktat-Lösung [5], ebenfalls ein Rekord.
  • Die Umkehr, nämlich vor der Frage des Womit vielmehr die Frage des Warum, Wann und Wie zu behandeln [2], löst die Probleme auch nicht. Es bleibt dabei, ohne das Womit (Was) sind die anderen Fragen nicht lösbar. Allen drei Zeitschriften kann man nur eine Konsensus-Arbeit zum Was ans Herz legen, nämlich Forderungen und Erwartungen an einen optimalen Volumenersatz [6].
  • Und dann „Das Wichtigste in Kürze“: „Die infundierte Flüssigkeitsmenge am Operationstag maximal 5000 ml“ [4]. Und wo bleibt das Was?
    Insgesamt 5 l einer isotonen Glukoselösung (5 %) sind in wenigen Stunden ausgeschieden, während 5 l einer kolloidalen Lösung den Patienten erheblich gefährden.
  • Das klinische Fazit aller zitierten Beiträge ist durch folgende Floskeln charakterisiert: „weitgehend unklar“, „kann derzeit nicht beurteilt werden“ oder „nicht genügend evaluiert“ [7]; „lebhaft geführte Diskussion“, „muß in Betracht gezogen werden“ [2]; „scheint zu besseren Ergebnissen zu führen“, „erscheint sinnvoll“, „nur begrenzt aussagefähig“ und „nicht geklärt“ [4].
  • Ein entsprechender Leserbrief zum Thema Perioperatives Flüssigkeitsmanagement ist in der Zeitschrift Der Anaesthesist erschienen. 

Das Was in Verbindung mit dem Wann wird in dem Booklet zur Flüssigkeitstherapie ausführlich beschrieben. 

Literatur

  1. Bruegger D, Jacob M, Scheingraber S, Conzen P, Becker BF, Finsterer U, Rehm M:
    Changes in acid-base balance following bolus infusion of 20% albumin solution in humans.
    Intensive Care Med 2005; 31: 1123 – 1127
  2. Goetz AE:
    Editorial: Nicht nur „Womit“, sondern vielmehr „Warum“, „Wann“ und „Wie“!
    Anästh Intensivmed 2006; 47: 307
  3. Jacob M, Peter K, Rehm M:
    Einführung zum Thema: Perioperatives Flüssigkeitsmanagement.
    Anaesthesist 2006; 53: 369 – 370
  4. NN:
    Flüssigkeitsmanagement - Das Wichtigste in Kürze.
    Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2006; 6: 418
  5. PhysioFundin: Fehler und Gefahren.
    www.physioklin.de
  6. Zander R, Adams HA, Boldt J, Hiesmayr MJ, Meier-Hellmann A, Spahn DR, Standl Th:
    Forderungen und Erwartungen an einen optimalen Volumenersatz.
    Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40: 701 - 719
  7. Zausig Y, Weigand M, Graf B:
    Perioperatives Flüssigkeitsmanagement.
    Anaesthesist 2006; 53: 371 - 390