Die Human-Physiologie, die Lehre von den normalen Körperfunktionen des Menschen, untersucht und beschreibt die chemischen, physikalischen und biologischen Grundlagen von Organfunktionen, so z. B. die von Gehirn und Nervensystem in der Neurophysiologie. Im gleichen Sinne gibt es als weitere Teilgebiete eine Atmungs-, Ernährungs-, Herz-Kreislauf-, Nieren- oder Sinnesphysiologie und andere. Die Pathophysiologie beschäftigt sich mit den krankhaft veränderten Körperfunktionen und stellt damit eine wichtige Brückenfunktion zum Patienten und dem praktisch tätigen Arzt her. Die angewandte Physiologie bearbeitet z. B. die physiologischen Grundlagen des Breiten- oder Leistungssports (Sport-Physiologie) oder der körperlichen Arbeit (Arbeitsphysiologie). Im Mittelpunkt der klinischen Physiologie schließlich stehen Fragestellungen, die von klinisch tätigen Ärzten der Anästhesiologie, Chirurgie, Inneren Medizin, Transfusionsmedizin und anderen an die Physiologen herangetragen werden, oder solche Projekte, die von Physiologen generiert werden, um dann im Idealfalle in Kooperation mit einer Klinik bearbeitet zu werden. Fast obligatorisch ergibt sich dabei eine weitere Kooperation, nämlich die mit der medizintechnischen und der pharmazeutischen Industrie, da oftmals Medizinprodukte oder Arzneimittel entwickelt und eingesetzt werden.
Die klinische Physiologie ist - leicht übertrieben - klinisch tot.
Die Lehrbücher der Physiologie sind partiell veraltet und gehen an der Realität vorbei:
- Dass es "neuerdings" (im Jahr 2000) möglich ist, den CO2-Partialdruck direkt zu messen, wird mit einem Zitat von 1967 belegt [2]; dass man zweckmäßigerweise den BE mit einem Leiternomogramm bestimmt [2], ist seit ca. 25 Jahren überholt, weil dies natürlich ein Mini-Rechner erledigt.
- Beim Energieverbrauch des Menschen wird neben "Rasieren im Stehen" und "Schuhputzen" auch zwischen "Bodenwischen" und "Bodenmoppen" differenziert [1], Relevanz und Nomenklatur der Stummfilmzeit?
- Weil das originelle Prinzip der Kapnometrie bei den Physiologen nicht existent ist [1, 2], muss es für den Kliniker eigens in einem Kapitel Physiologie erklärt werden [3], da es seit vielen Jahren zum Standard-Monitoring der Anästhesiologie gehört.
- Obwohl heute praktisch jeder Arzt mit einem Pulsoxymeter in Kontakt kommt, erwähnen die neueren Lehrbücher der Physiologie dieses Messprinzip nicht [1] oder mit wenigen Zeilen im Kleingedruckten [2].
- Dem Körperplethysmographen aber wird eine halbe Seite gewidmet [2], obwohl höchstens 1 % der Ärzte (Pulmologen) damit arbeitet.
- Das gefürchtete, lebensbedrohliche Lungenödem ab 4000 m Höhe [2] beeindruckt weder die Deutsche Lufthansa, die ihre zigtausend Passagiere in La Paz (Bolivien) in 4.100 m Höhe aus dem Flugzeug entlässt, noch die Seilbahnfirma in Merida (Venezuela), die ihre zigtausend Touristen auf den Pico Espejo mit 4.850 m Höhe befördert.
Die Gewichtung der relevanten Themen in den Lehrbüchern der Physiologie ist willkürlich:
- Die Themen Herz (5-6 %), Kreislauf (6-8 %) und Atmung (7-9 %) erhalten zusammen nur knapp den gleichen Anteil am Gesamtumfang wie das Thema Neurophysiologie (22-23 %) [1, 2].
- Laut Statistischem Bundesamt entfallen 1999 nur 3 % aller Todesursachen (865.000) auf Verhaltensstörungen und Krankheiten des Nervensystems, aber 48 % auf Krankheiten des Kreislaufsystems.
- Im gleichen Jahr sind aber nur 1,8 % aller berufstätigen Ärzte (ca. 300.000) in Deutschland gemäß Bundesärztekammer als Neurologen tätig.
Die Forschungsthemen der Neurophysiologie treten extrem in den Vordergrund gegenüber den relevanten Themen der täglichen ärztlichen Praxis:
- Auf der Jahrestagung 2003 der Deutschen Physiologischen Gesellschaft beziehen sich 24 % aller Vorträge (Abstracts) auf die Neurophysiologie und nur 10 % auf die Herz-Kreislauf-Physiologie.
- Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aber sind 1999 immerhin fast 40 % der häufigsten Diagnosen (2.400.000) Erkrankungen des Herzens und der Gefäße, während die des Nervensystems mit weniger als 3 % gar nicht aufgeführt werden.
Die Forschungsförderung in Deutschland erfolgt nicht nach der Relevanz der geförderten Fachgebiete, also zum Beispiel nach der Häufigkeit entsprechender Erkrankungen, sondern nach der Zahl der eingegangenen Anträge auf Forschungsförderung:
- Nach Auskunft der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aus dem Jahre 2004 gibt es keine Korrelation zwischen der Anzahl von Erkrankungen und den bei der DFG eingegangenen Anträgen auf Forschungsförderung in diesen Gebieten.
- Bei der DFG arbeiteten im Jahr 2003 für die sogenannte Klinische Medizin 18 Fachkollegien, für die Innere Medizin 8 Fachkollegien und für die sogenannten Neurowissenschaften immerhin 12 Fachkollegien.
- Im Klartext: Es wird dort gefördert, wo Wissenschaftler forschen wollen und entsprechende Anträge auf Förderung stellen.